1990 Zu Beginn des Jahres kehrt mein Geliebter mit einem womöglich leise erzieherischen Geschenk von einer Italienreise zurück. Ein Kalendarium in feinster Buchform, in Bodonilettern, sollte mir die Möglichkeit geben etwaige Termine darin einzutragen. Eine Seite für jeden Tag. Während ich nun überlegte, welche Termine ich dorthinein eintragen könnte, begann ich auf das feine Papier zu zeichnen. Kleine, ein bisschen krakelige Gedankenzeichnungen und Texte aus Finelinern und Tippex begannen die Seiten zu dominieren. »Schön sind Gehirntrauben« , aber auch »Von allen Richtungen bleibt Nord und kotzt einen an« lauten zwei gute Aufzeichnungen in diesem 1. Jahrbuch.
1991 Ich möchte fortfahren mit den Tageszeichnungen und habe jetzt ein eigens angefertigtes Buch mit völlig leeren Seiten. »Es weist nichts auf einen nächsten Tag hin«, während sich auf der linken Buchseite stets der Vortag durchschlägt. Die Zeichnungen werden größer und formatbestimmender. Am 2. Juni fliege ich für ein ganzes Jahr nach New York.
1992 Ein kleines, altes und tragbares Fernsehgerät sitzt aus einem selbstbezogenen Stuhl und plappert vor sich hin. »Just do it for your TV«. Immer deutlicher entwickelt sich mein Hang zur »Hörzeichnung«. Im Sommer, nach meiner Rückkehr nach Stuttgart, belege ich gleich mehrere Seiten hintereinander mit einem kleinen lichtgrauen Gouache-Rechteck. »Eine geschlossene Schachtel ist womöglich auch eine leere Schachtel.«
1993 Ein Jahr Lüdenscheid. (verkauft)
1994 Am 7. Juli findet sich ein fröhliches Selbstporträt mit nacktem Oberkörper. Die Arme auf einem weißen Kissen aufgestützt, in der Art wie man aus dem geöffneten Fenster schauen würde. Mein ebenso weißes Haar fließt unter dem Kinn zu einer Kopfumrundungsform zusammen.
1995 In diesem Jahr verwende ich erstmals Stempellettern. Sie fügen sich zu comicartigen Lautwörtern. »Fumb, Gobb, Tseff, Brosch, Kank«. Mit dickem Rapi und rosa Gouache ist eine Jahrbuchikone gezeichnet: die Frau mit verschlungenen Armen und vornüberhängendem Haar. »Man sieht sofort, was es überhaupt nicht gibt.«
1995 In diesem Jahr verwende ich erstmals Stempellettern. Sie fügen sich zu comicartigen Lautwörtern. »Fumb, Gobb, Tseff, Brosch, Kank«. Mit dickem Rapi und rosa Gouache ist eine Jahrbuchikone gezeichnet: die Frau mit verschlungenen Armen und vornüberhängendem Haar. »Man sieht sofort, was es überhaupt nicht gibt.«
1996 Ein gar nicht mal so schlaffes Jahr, wieso schreibe ich das? Die Aquarellzeichnung vom 12. Juni lässt denken an ein stilisiertes Regalbrett, darauf stehend schmale Buchrücken (Reclam?) mit erfundenen Titeln wie: »Komisch, jetzt schon« und »Vom Vernarren«
1997 Erste (Strich)-Flusen mit 0,18 Rapidographen nehmen schon mal einige Zeit in Anspruch. Während ich telefoniere? Am 20.Oktober: »Das Morgengrauen wird nicht immer rosig sein.« Das sind Hörzeichnungen!
1997 Erste (Strich)-Flusen mit 0,18 Rapidographen nehmen schon mal einige Zeit in Anspruch. Während ich telefoniere? Am 20.Oktober: »Das Morgengrauen wird nicht immer rosig sein.« Das sind Hörzeichnungen!
1997 Erste (Strich)-Flusen mit 0,18 Rapidographen nehmen schon mal einige Zeit in Anspruch. Während ich telefoniere? Am 20.Oktober: »Das Morgengrauen wird nicht immer rosig sein.« Das sind Hörzeichnungen!
1998 Das dreigeteilte Jahr. Band 1: 1.1. – 27.9. Beschimpfungen in Schablonenschrift: »Du Drittletzter!« Band 2: Extrabuch »Cuba«. Band 3: 28. 9. – 31.12. Ich versuche in Strasbourg zeichnend Französisch zu lernen: La bière comme le vin contient de l’acool. (29.11.)
1998 Das dreigeteilte Jahr. Band 1: 1.1. – 27.9. Beschimpfungen in Schablonenschrift: »Du Drittletzter!« Band 2: Extrabuch »Cuba«. Band 3: 28. 9. – 31.12. Ich versuche in Strasbourg zeichnend Französisch zu lernen: La bière comme le vin contient de l’acool. (29.11.)
1999 »Zwischen mir bilden sich Freundschaften, ab und zu bricht dann Streit aus.« (21. 6.)
1999 »Zwischen mir bilden sich Freundschaften, ab und zu bricht dann Streit aus.« (21. 6.)
2004 Monate Valence: Apprendre le Français. (verkauft)
2001 Viel Porträtrosa. In diesem Buch findet sich immer noch eine Menge Sex. Aber auch: »Ich bin nicht mehr so zäh wie ich einmal war. Oft heiße ich mich willkommen das zu tun, was ich immer tue.« Ich weiß nicht mehr, woher ich das habe.
2002 Es gibt Zeiten, in denen ich nicht kann. Vom 6. 6. bis zum 24. 6. sind die Seiten bis auf eine winzige Ziffer im Zentrum dick mit rosa bestrichen. Die Seiten vom 12. 8. bis 3. 9. mit hellblau. »Encore une fois au telephone« (12. 12.)
2003 Am 2. Mai in Herisau, Appenzell Ausserrhoden: »Mir ziemt es möglichst unauffällig zu verschwinden.« (Robert Walser) Ein reines Rapidographenbuch.
2004 Der kalte Mistral heult, mein Handtuch liegt morgens gefroren auf der Hecke, ein Panther ist ausgebrochen, es treffen keine Zahlungen ein. Im Jahrbuch tummeln sich seltsame rundliche Figuren aus Aquarelllinien, die sich gegenseitig ihre Flächen zuweisen. Erst in Marseille, dann in Paris: »Je suis attentif à la silence qu’à la langage.«
2005 Teppichartige Schriftaquarelle: »So recht glaube ich nicht mehr an einen Job in Berlin.« Strich an Strich, den Pinsel dabei leerend.
2006 Ich höre pausenlos Dinge wie: »Was aussieht wie ein Wünschelrutengänger ist ein Polizist mit Bombendetektor.« Das sagt am 5. August ein Kopf aus zerlaufender Farbe. Mehrere formatfüllende Gouache-Monsterköpfe, zum Teil abgeleitet von Panini-Fußballerbildchen (Italiener?) und kleinen Portäts aus der Tageszeitung : »Was für ein Tag für meine armen Eier!«
2007 In diesem Jahr häufen sich die Leerseiten. Andere Zeichenprojekte, wie 10 Meter lange Radiozeichnungen wie »Das große Band Krise« lassen kaum mehr Platz. Und zwingen will ich’s nicht. »Die Tage werden allmählich knapp.«(9. 6.)
2008 Folglich: Pause
2009 Pause
2010 Ich fange wieder an. Auf Dünndruckpapier mit »Rapi« und zeichne nurmehr auf der rechten Seite, auf der linken Seite schlägt deutlich der Vortag durch, von nun an unüberzeichnet. »Da ich untergetaucht bin, habe ich Zeit, Tag und Nacht die Nachrichten zu verfolgen.«(12. 6.)
2011 In Fukushima scheint die Welt untergegangen. Die Schweizer Nachrichten, die aus dem Radio knistern sind schwankend. In der Nacht hatte es kräftig geschneit. Draußen ein white-out. Auch mein frisches Tuschefläschchen ist plötzlich aus Versehen weiß. In der Folgezeit werden die Zeichnungen mattgrau, wie ganz feiner Steinstaub. »Die Atomindustrie ist ja auch gespalten« (1. 4.)
2012 Wieder Büttenpapier, dickes Buch. Graues, mattes Grau, Schraffuren. »Es macht Spaß, aber langweilig ist mir auch.« (2. 4.) »Im Sommer löse ich wochenlang unseren Hausstand auf.« Ich kann einpacken.« (22. 7.) »Wir ziehen ganz nach Berlin.« »Ich sollte nicht von der Fahne gehen.« (1. 11.). Graue Tusche, gespritzt.
2013
Von intensivem, ganz leicht glitzerndem Blau übriggelassene Wolken. »Und andere Selbsttäuschungen.« Vor allen Dingen: »Der Spaß am Fast« (23. 11.)
2014, »Mauerfolklore (Udo auf Strümpfen)« (9. 11.). Ich baue ganz auf meinen Anfängergeist. »Ich muss ins All schießen können, ohne auf Hindernisse zu stoßen.« (25. 11.)
2015, läuft.
2015, läuft.
Alle Jahrbücher auf dem Tisch im Atelier.
Dorothea Schulz in Schwarzenberg, Vorarlberg, 2012