Mythen des Alltags

Tätowierungen

Motive, die unter die Haut gehen

Von Annika Keppler


Krei­se, Punk­te, Lini­en, Orna­men­te, Sprü­che, Frat­zen – all das und noch viel mehr, räkelt sich auf Kör­pern an deut­schen Strän­den. Die Rede ist von Tattoos. 

Das Wort »Tat­too« kommt aus dem Eng­li­schen und beschreibt ein Motiv, das durch Nadeln mit Tin­te oder Pig­ment in die zwei­te Haut­schicht gesto­chen wird. Dabei sind der Krea­ti­vi­tät kei­ne Gren­zen gesetzt. Grö­ße, Form und Far­be wer­den ganz auf die Wün­sche der Kun­den ange­passt. Mit solch einem »Stich­werk« unter der Haut kann man heut­zu­ta­ge kei­ne Men­schen­see­le mehr scho­ckie­ren. Nein, viel mehr ist es »en vogue«, ein Tat­too zu besit­zen. Nicht zuletzt aus dem Grund, dass auch immer mehr Per­so­nen des öffent­li­chen Lebens ihren Kör­per mit Bema­lun­gen schmü­cken. Man den­ke an Schau­spie­ler, Spit­zen­sport­ler, Mode­ra­to­ren oder gar Ver­tre­ter von Königshäusern. 

Unser Kör­per ist im 21. Jahr­hun­dert regel­recht zum Aus­drucks­mit­tel und zur Prä­sen­ta­ti­ons­flä­che mutiert. Traut man den Aus­sa­gen der »Süd­deut­schen Zei­tung« von April 2018, ist mitt­ler­wei­le fast jeder fünf­te Deut­sche täto­wiert, dar­un­ter sogar rund die Hälf­te aller Frau­en zwi­schen 25 bis 34 Jah­ren[1]. Aber Vor­sicht! Wer jetzt den Ver­dacht schöpft, Tat­toos sei­en eine neu­mo­di­sche Erfin­dung, der irrt. Kör­per­schmuck die­ser Art gibt es schon seit eh und je. Das beweist die 5300 Jah­re alte Glet­scher­mu­mie Ötzi. Sei­nen Kör­per zier­ten über 60 Täto­wie­run­gen geo­me­tri­scher Gestalt, jedoch wahr­schein­lich eher aus medi­zi­ni­schen Grün­den als aus ästhe­ti­schem Schick. Die Stri­che und Punk­te auf Ötzis Kör­per waren an typi­schen Stel­len der chi­ne­si­schen Aku­punk­tur ange­bracht und dien­ten in sei­nem Fal­le der Schmerz­lin­de­rung von Rheu­ma und Ver­stau­chun­gen[2].

Im wei­te­ren Ver­lauf der Zeit­ge­schich­te kris­tal­li­sier­te sich eine Täto­wie­rung als ein Zei­chen für Zuge­hö­rig­keit her­aus. Ein­zel­ne Grup­pen nutz­ten sie zum Zwe­cke der Iden­ti­fi­ka­ti­on. So zier­ten pracht­vol­le Anker die mus­ku­lö­sen Ober­ar­me von See­fah­rern, und die Anhän­ger der japa­ni­schen Yaku­za ver­lie­hen ihren Kör­pern durch far­ben­fro­he Blu­men­mo­ti­ve das gewis­se Etwas. Zuhäl­ter kenn­zeich­ne­ten ihre Pro­sti­tu­ier­ten mit einer Art Tat­too­la­bel für die Ewig­keit, und bei Insas­sen von Gefäng­nis­sen prang­te eine fet­te Num­mer auf dem Unter­arm[3]. Vor allem die letz­ten bei­den Gesichts­punk­te spie­geln nega­ti­ve Bei­spie­le wider und machen deut­lich, war­um die Gesell­schaft noch vor eini­gen Jah­ren Tat­toos verpönte.

Grö­ßer, bun­ter, ver­rück­ter lau­tet die Devi­se für ein Tat­too. Zu viel des Guten oder ein sich wan­deln­der Geschmack sor­gen nun aber dafür, dass sich neben dem flo­rie­ren­den Job des Täto­wie­rers ein ganz neu­ar­ti­ger Berufs­zweig ent­wi­ckelt hat. End­lich wie­der weg mit den alten Sün­den! Eine Laser­be­hand­lung soll es rich­ten und in eini­gen schmerz­haf­ten Sit­zun­gen für teu­res Geld das ent­fer­nen, was einst dring­lich unter die Haut gebracht wer­den sollte. 

Es bleibt fest­zu­hal­ten: Die Anzahl der »Tint­lin­ge« in unse­rer Bevöl­ke­rung steigt, und bald sorgt es wahr­schein­lich noch nicht ein­mal mehr für Auf­ruhr, wenn Claus Kle­ber, ver­ziert mit dem Por­trät von Gun­du­la Gau­se auf dem Unter­arm, zum »heu­te jour­nal« grüßt. Ein Tat­too muss es also sein, um sich von der brei­ten Mas­se abzu­he­ben. Jedoch stellt sich da lang­sam die Fra­ge, mit wel­cher Art von Tat­too man sich über­haupt noch abhe­ben kann? Viel­leicht dreht man den Spieß ein­fach um und sagt: Das schöns­te Tat­too ist »kein Tat­too«. Damit könn­te man bald eine ech­te Rari­tät in der Gat­tung Mensch sein.