Ist die Wahr­heit über die Ato­me dem Men­schen zumut­bar? Hei­sen­berg zumin­dest reagier­te bei ihrem Anblick mit Todes­sehn­sucht. Men­schen hal­ten mit der Atom­bom­be die Mög­lich­keit in den Hän­den, sich selbst aus­zu­lö­schen. Viel­leicht soll­ten wir alle als ein­fa­che­re Gemü­ter vor­sich­ti­ger mit dem gro­ßen Gut umge­hen. Viel­leicht ist die Wahr­heit doch vie­len Men­schen nicht zumut­bar. In der Mit­te des Dich­ter­wor­tes steckt der Mut. Wenigs­tens davon kann man nie genug haben. Das ist die Wahrheit.

Zwei Ergän­zun­gen zum Kampf um die Wahrheit

Ers­tens: In den »Notiz­bü­chern« von Ray­mond Chand­ler fin­det sich unter dem Datum vom 19. Febru­ar 1938 ein Ein­trag unter der Über­schrift »Gro­ßer Gedan­ke« (»Gre­at Thought«). Er lau­tet: »Es gibt zwei Arten von Wahr­heit: Die Wahr­heit, die den Weg weist, und die Wahr­heit, die das Herz wärmt. Die ers­te Wahr­heit ist die Wis­sen­schaft, und die zwei­te ist die Kunst. Kei­ne ist unab­hän­gig von der ande­ren oder wich­ti­ger als die ande­re. Ohne Kunst wäre die Wis­sen­schaft so nutz­los wie eine fei­ne Pin­zet­te in der Hand eines Klemp­ners. Ohne Wis­sen­schaft wäre die Kunst ein wüs­tes Durch­ein­an­der aus Folk­lo­re und emo­tio­na­ler Schar­la­ta­ne­rie (emo­tio­nal quackery). Die Wahr­heit der Kunst ver­hin­dert, dass die Wis­sen­schaft unmensch­lich wird, und die Wahr­heit der Wis­sen­schaft ver­hin­dert, dass die Kunst sich lächer­lich macht.«

Zwei­tens: In sei­nem Buch »Truth and Rea­li­ty in the Sci­en­ces«, »Wahr­heit und Wirk­lich­keit« in der Wis­sen­schaft, hat der aus Ber­lin stam­men­de und 1969 mit dem Nobel­preis für Medi­zin aus­ge­zeich­ne­te Max Del­brück in den spä­ten 1970er Jah­ren sei­ne letz­te Vor­le­sung am Cali­for­nia Insti­tu­te of Tech­no­lo­gy in Pasa­de­na gehal­ten. Kurz vor sei­nem Tod im Jah­re 1981 hat Del­brück mich gebe­ten, aus sei­nen Noti­zen ein Buch zu machen, was mit Freun­den gelun­gen ist. 1986 konn­ten Del­brücks Aus­füh­run­gen »über die Evo­lu­ti­on des Erken­nens« unter dem Titel »Wahr­heit und Wirk­lich­keit« erschei­nen, wobei er zu Beginn des Buches die Unter­schei­dung trifft, »Wahr­heit bezieht sich auf Wis­sen, Wirk­lich­keit bezieht sich auf die Objek­te des Wis­sens«, um beim Über­blick über das von der Natur­for­schung Gefun­de­ne »drei nai­ve Fra­gen« zu stellen:
»1) Wie kön­nen wir eine Theo­rie des Uni­ver­sums ohne Leben – und daher ohne Geist – ent­wer­fen und dann erwar­ten, dass sich Leben und Geist irgend­wie aus die­sem unbe­leb­ten und unbe­seel­ten Anfang her­aus entfalten?
2) Wie kön­nen wir die Evo­lu­ti­on der Orga­nis­men ersin­nen, bei der der Geist streng als adap­ti­ve Ant­wort auf den Selek­ti­ons­druck kon­zi­piert ist, der sol­che Exem­pla­re bevor­zugt, die sich mit dem Leben in der Höh­le zurecht­fin­den, und dann erwar­ten, dass die­ser Geist in der Lage ist, die tief­grün­digs­ten Ein­sich­ten in die Mathe­ma­tik, die Kos­mo­lo­gie, die Mate­rie, in die all­ge­mei­ne Ord­nung des Leben­di­gen und den Geist selbst hervorzubringen?
3) In der Tat, ist es über­haupt sinn­voll, den Stand­punkt ein­zu­neh­men, dass die Fähig­keit, die Wahr­heit zu erken­nen, aus toter Mate­rie ent­stan­den ist?«

Gute Fra­gen. Um Vor­schlä­ge für Ant­wor­ten wird gebeten.

Anhang: »Sag mir warum«

Im Novem­ber 2021 hat das bri­ti­sche Wis­sen­schafts­ma­ga­zin »New Sci­en­tist« sei­nen 65sten Geburts­tag dadurch gefei­ert, dass die Reak­ti­on ihren Lese­rin­nen und Lesern drei­zehn War­um-Fra­gen vor­leg­te, von denen sie mein­te, dass man über sie bereits gerät­selt habe, als »New Sci­en­tist« gegrün­det wur­de. »Tell me why« – so lau­te­te die Über­schrift, und hier kom­men die Fra­gen, auf die kei­ne Ant­wort ver­sucht wird:
War­um gibt es etwas und nicht nichts?
War­um exis­tie­ren wir?
War­um gibt es eine Evolution?
War­um bewegt sich die Zeit nur vorwärts?
War­um gibt es das Gute und das Böse?
War­um ist das Uni­ver­sum genau richtig?
War­um gibt es Bewusstsein?
War­um gibt es Trauer?
War­um ist die Quan­ten­theo­rie so merkwürdig?
War­um gibt es eine kos­mi­sche Gren­ze der Geschwindigkeit?
War­um sind wir irrational?
War­um haben wir noch nichts von Ali­ens gehört?
War­um ist das Uni­ver­sum verständlich?

Es sei einem Deut­schen erlaubt, die bri­ti­schen drei­zehn um eine Fra­ge zu ergän­zen, die einen belieb­ten Aus­druck auf­greift, näm­lich das »es gibt«. Es gibt so viel in der Welt, nicht zuletzt das Wort »es gibt«. Aber was gibt es? Die Fra­ge stammt von Men­schen und kann sich nur auf etwas bezie­hen, das es gibt und ihnen zuge­hört. Für Men­schen gibt es nur die Welt, in der sie sagen kön­nen, dass es etwas für sie gibt. Das ist die Wahr­heit, und sie bewahrt ihr Geheimnis.


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