Essay

Visuelle und virtuelle Modelle

Zum Problem rhetorischer Begrifflichkeiten im Game Design

Von Björn Blankenheim


Neben den klas­si­schen Fel­dern der visu­el­len Kom­mu­ni­ka­ti­on, wer­den zuneh­mend auch Games als Gegen­stand visu­ell-rhe­to­ri­scher Anwen­dung wahr­ge­nom­men. Wer Games jedoch ein­fach unter der Rhe­to­rik (audio-)visueller Medi­en sub­su­miert, wird gera­de ihrer Medi­en­spe­zi­fik kaum gerecht. Im Fol­gen­den soll anhand eines Bei­spiels kurz skiz­ziert wer­den, wor­in die­se Beson­der­heit besteht und wel­che Aus­wir­kun­gen dies auf die Rol­le der Rhe­to­rik im Game Design hat.

Im August 1989 unter­nah­men Scott John­son und Mike Dail­ly beim klei­nen bri­ti­schen Ent­wick­ler­stu­dio DMA Design meh­re­re Expe­ri­men­te, um mög­lichst vie­le ani­mier­te Figu­ren auf einen Bild­schirm zu bekom­men, die als Geg­ner für einen Shoo­ter her­hal­ten soll­ten. Dies pas­sier­te in der Gra­fik­soft­ware Delu­xe Paint (Elec­tro­nic Arts, erst­mals 1985), mit der sehr schnell Bit­maps und Ani­ma­tio­nen her­ge­stellt wer­den konn­ten. Dail­ly bestand dar­auf, dass es mög­lich sei, sol­che Figu­ren in einem bloß 8 x 8 gro­ßen Pixel­feld zu rea­li­sie­ren und erstell­te in gut einer Stun­de ein gro­ßes, ani­mier­tes Tableau meh­re­rer Rei­hen sol­cher Figu­ren, die (in einem Anflug bri­ti­schen Humors) in ver­schie­de­ne Fal­len lie­fen und dort zer­malmt, ver­schlun­gen oder gegrillt wur­den. Das gan­ze Team war sehr amü­siert und Rus­sell Kay soll gelacht haben: “There’s a game in that!” Er nann­te die Figu­ren »Lem­mings«.[1]

Kay pro­gram­mier­te dar­auf­hin eine ers­te Tech­no­lo­gie-Demons­tra­ti­on, die sie noch Ende Sep­tem­ber 1989 ihrem Publisher Psy­gno­sis prä­sen­tier­ten. Aus dem Ani­ma­ti­ons-Tableau wur­de so eine Simu­la­ti­on, die zum einen zeig­te, wie 100 Lem­min­ge in einer End­los­schlei­fe unauf­hör­lich vor­wärts mar­schie­ren, und zum ande­ren, wie die­se sich ihren Weg auf der durch die Gra­fik defi­nier­ten Kan­te des Ter­rains suchen.[2]

Auf die­ser Grund­la­ge über­nahm Dave Jones das Pro­jekt und kom­bi­nier­te die bereits exis­ten­te Idee der Fal­len mit einer indi­rek­ten Steue­rungs­me­tho­de (Maus­steue­rung, GUI, Mini-Map), die er aus dem damals sehr popu­lä­ren Spiel Popu­lous (Bull­frog Stu­di­os, März 1989) über­nahm. In Popu­lous wer­den die Geschi­cke eines klei­nen Vol­kes gesteu­ert, indem mit der Maus das Ter­rain um sie her­um geho­ben, gesenkt, aber auch durch Natur­ka­ta­stro­phen ver­än­dert wird. Doch die wich­tigs­te Inspi­ra­ti­on war die Mög­lich­keit, eine ein­zel­ne Figur zu einem »Rit­ter« zu schla­gen, wodurch die­ser selbst­stän­dig Ange­hö­ri­ge ande­rer Völ­ker sucht, um die­se anzu­grei­fen. Doch wäh­rend Popu­lous eine Popu­la­ti­on simu­liert, lau­fen die Lem­min­ge ein­fach nur gera­de­aus, und statt sie zu »Rit­tern« zu schla­gen, wur­den sie wahl­wei­se zu selb­stän­di­gen »Klet­te­rern«, »Fall­schirm­sprin­gern«, »Bom­bern«, »Blo­ckern«, »Brü­cken­bau­ern«, hori­zon­ta­len, ver­ti­ka­len oder dia­go­na­len »Budd­lern«. War bei Popu­lous der Ein­satz einer Fähig­keit durch das »Man­na« beschränkt, so wur­de hier für jeden Level indi­vi­du­ell fest­ge­legt, ob und wie oft eine Fähig­keit zur Ver­fü­gung stand.[3]

Für den Level-Edi­tor ori­en­tier­te man sich erneut an Delu­xe Paint, damit jeder sich an dem Malen der Levels betei­li­gen konn­te. Mit Hil­fe des Edi­tors wur­den dann nur noch die Spiel­in­for­ma­tio­nen ergänzt. So ent­stand ein Wett­be­werb unter den Ent­wick­lern, sowohl her­aus­for­dern­de Levels zu gestal­ten als auch jene der ande­ren zu schla­gen. In Hun­der­ten von Ite­ra­tio­nen wur­den so die bes­ten Levels aus­ge­wählt und nach anstei­gen­der Schwie­rig­keit zusam­men­ge­stellt, ergänzt um ein­fa­che, die zu Anfang des Spiels zunächst mit Steue­rung und Funk­tio­nen ver­traut machen soll­ten. Das Spiel Lem­mings erschien im Febru­ar 1991, zunächst für den Com­mo­do­re Ami­ga, dann für vie­le wei­te­re Plattformen.