Essay
Wie kommuniziert Gewalt?
Zur visuellen Rhetorik des Terrorismus
1 Terrorismus als Kommunikation[1]
Das Phänomen des Terrorismus erfährt in den vergangenen Jahren eine neue Aufmerksamkeit. Zuvor unbekannte terroristische Vereinigungen betreten die Weltbühne, begleitet von der Verbreitung ihrer Propaganda und einer globalen Berichterstattung über ihre Taten im Internet – mit dem Ergebnis, dass die Angst vor Terrorismus auch in Kulturräumen zunimmt, die von dieser Gewalt empirisch betrachtet nur marginal bedroht sind, wie etwa in der »westlichen Welt«. Von weltweit 25673 Opfern terroristischer Anschläge 2016 stammen nur 265 aus OSZE-Ländern – hingegen 75 % der Opfer entstammen aktuellen Krisenherden und Bürgerkriegsschauplätzen wie Afghanistan, Nigeria, Syrien, Pakistan und dem Irak.[2] Gleichwohl befinden sich unter den Tätern nicht wenige, die sich »im Westen« radikalisieren – seien es Jihadisten, die in den syrischen Bürgerkrieg ziehen oder gewaltbereite Neonazis, die vor Ort aktiv werden – und gleichwohl leuchtet ein, dass man diese Personen bereits vor Ort durch Gegenmaßnahmen von ihren Taten abhalten will.
Das Gefälle in unserer Gesellschaft zwischen der »gefühlten« und der »empirischen« Gefahr durch Terrorismus macht allerdings auch deutlich, dass es sich beim Terrorismus eben nicht nur um das faktische Phänomen terroristischer Taten handelt. Vielmehr erfüllt eine terroristische Tat zuvorderst eine eigene Kommunikationsfunktion: Der terroristische Anschlag zielt nur in Teilen darauf ab, tatsächlichen Sach- und Personen-Schaden anzurichten – sein Ziel ist es vor allem, Angst zu verbreiten, Mitstreiter zu rekrutieren, Feindbilder zu erzeugen. Terrorismus lässt sich in diesem Sinne also ganz allgemein (auch) als Kommunikationsaktivität verstehen, durch die starke Gefühle geweckt werden: Angst, Begeisterung, Hass, Abscheu, Hochmut etc. Man könnte sagen: Terrorismus trägt mit rhetorischen Mitteln des pathos zur politischen Meinungsbildung bei.
Es leuchtet daher ein, dass Gegenmaßnahmen, die Personen davon abhalten wollen, sich gewaltbereit zu extremisieren oder die bereits gewaltbereite Extremisten zum Ausstieg aufrufen wollen, nicht allein an die Vernunft – den logos – appellieren sollten. Counter-Narratives in den Bereichen Countering und Preventing Violent Extremism (CVE und PVE, so die Fachbegriffe im zeitgenössischen Diskurs), tun also gut daran, die Affekte zu studieren, die den Terrorismus für seine Anhänger so attraktiv machen, wenn sie diese Zielgruppe auch affektiv erreichen wollen. Aber wie »kommuniziert« eine terroristische Tat nun genau? Was zeichnet das Kommunikationsdesign einer terroristischen Gruppe aus, beispielsweise des sogenannten »IS«? Und wie kann man angemessen – um einen weiteren Kernbegriff der Rhetorik zu verwenden – darauf reagieren, ohne auf Gewalt(bilder) mit Gewalt(bildern) zu reagieren?
Die Rhetorik stellt zur Klärung dieser Fragen einen guten Werkzeugkasten zur Verfügung, mit dessen Hilfe sich eine konzeptionelle, modellhafte Makro-Perspektive und eine praktische, analytische Mikro-Perspektive verbinden lassen. Mithilfe des Konzepts der rhetorischen Kommunikation[3] lässt sich theoretisch beschreiben, wie die terroristische Tat als Mittel der Kommunikation instrumentalisiert wird. Und mithilfe der Rhetorischen Designanalyse[4] lassen sich ganz konkret gestaltete Erzeugnisse, wie etwa Websites, Propaganda-Magazine oder Memes, auf ihre Ziele hin untersuchen.
- [1] vgl. hierzu auch die Übersicht in: Weissermel, Philip: Terrorismus als Kommunikationsstrategie. Ein Vergleich der Roten Armee Fraktion und des Islamischen Staates. Baden-Baden 2017.
- [2] vgl. Institute for Economics & Peace: Sydney Global Terrorism Index 2017. http://economicsandpeace.org/reports/, Stand 23.3.2018.
- [3] vgl Scheuermann, Arne: Zur Theorie des Filmemachens. Flugzeugabstürze, Affekttechniken, Film als rhetorisches Design. München 2008.
- [4] vgl. Scheuermann, Arne: Die rhetorische Designanalyse und Buchanans »Design-Argument« – am Beispiel des Lego Star Wars AT-AT Walker 4483. in: Vidal, Francesca (Hg.): Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch. Berlin, Boston 2017. S. 109—127.