3 Ablei­tun­gen für Coun­ter-Nar­ra­ti­ves

Die Ana­ly­se von Dabiq hat also einen gedank­li­chen »Drei­sprung« gemacht: Aus­ge­hend vom Makro-Modell der rhe­to­ri­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on wur­de ver­mu­tet, dass sich bestimm­te Ziel­kon­flik­te im Magaz­in­de­sign fin­den las­sen, die Auf­schlüs­se über sei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wei­se geben. In der Mikro-Ana­ly­se von Schrift­grö­ßen, Lay­outs und Bild­un­ter­schrif­ten konn­ten Spu­ren eines zen­tra­len Ziel­kon­flikts gefun­den wer­den: »hand­ge­macht« ver­sus »Hoch­glanz-Maga­zin« sowie der damit kor­re­spon­die­ren­de Stil­bruch der Affekt­hö­hen. Zurück in der Makro-Per­spek­ti­ve konn­te hier­aus ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ziel des »IS« iso­liert wer­den: zwei Adres­sa­ten­grup­pen gleich­zei­tig anspre­chen und dabei zwei star­ke Affek­te (Begeis­te­rung und Abscheu) gleich­zei­tig wecken.

Dabei wur­de deut­lich, dass die Fra­ge nach der rhe­to­ri­schen Ange­mes­sen­heit des Stils (dem aptum) in Bezug auf Absen­der und Adres­sa­ten eine gro­ße Rol­le spielt.

Die­se Beob­ach­tung lässt sich nun eben­falls in der Ana­ly­se von Coun­ter-Nar­ra­ti­ves wie­der­ho­len. Auch die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel von Behör­den, Aus­stei­ger-Pro­gram­men und Gegen-Nar­ra­ti­ven ste­hen ja in die­sem Zwie­spalt: Wie errei­che ich gleich­zei­tig gewalt­be­rei­te Per­so­nen und blei­be doch als fried­li­che Insti­tu­ti­on sicht­bar? Mit wel­chen Bil­dern kann ich Jugend­li­che anspre­chen, die sich von star­ken Gräu­el­bil­dern affi­zie­ren las­sen, ohne selbst sol­che Bil­der zu wie­der­ho­len? Wann spre­che ich wen an – För­der­ge­ber, betrof­fe­ne Ange­hö­ri­ge, besorg­te Bür­ger, gewalt­be­rei­te Extre­mis­ten?[9]

Ver­schie­de­ne Coun­ter-Nar­ra­ti­ves ver­hal­ten sich in die­sem Zwie­spalt unter­schied­lich – wie zwei Bei­spie­le ver­deut­li­chen sollen.

Der Ava­tar Abdul­lah-X[10] ist eine Comic-Figur aus der Feder eines anony­men, ehe­ma­li­gen Extre­mis­ten.[11] In You­tube-Vide­os und in Comics wen­det sich die Figur direkt an ihre Ziel­grup­pe: jun­ge Mos­lems, die im Umfeld radi­ka­li­sier­ter Mei­nun­gen ste­hen. Hier­bei fällt auf, dass sich die recht gesetz­te und »bra­ve« Bild­spra­che der Comics teil­wei­se an Man­gas ori­en­tiert, was auf ein eher jun­ges Publi­kum hin­deu­tet. Auf der Web­site des Apple-Stores lässt sich jedoch ein Ver­gleich mit jenen Comics anstel­len, die von Leser/innen der Serie Abdul­lah-X eben­falls kon­su­miert wer­den: Schon weni­ge Aus­schnit­te aus Max Pay­ne oder Sui­ci­de Squad zei­gen, dass den Leser/innen durch­aus ande­re For­ma­te und Bild­spra­chen zuzu­mu­ten wären. Die deut­li­che Zurück­nah­me der Abdul­lah-X-Comics lässt sich somit rhe­to­risch im Span­nungs­feld unter­schied­li­cher Adres­sa­ten­grup­pen deu­ten: Man möch­te seri­ös wir­ken und gleich­zei­tig Jugend­li­che errei­chen. Ihr Gewicht erhält die Figur sicher­lich durch die authen­ti­sche inhalt­li­che Gestal­tung durch ihren Autor – bild­sprach­lich for­mu­liert sie jedoch einen Spagat.

Anders ver­fährt die deut­sche Initia­ti­ve EXIT, die Rechts­ra­di­ka­len den Aus­stieg aus der Sze­ne ermög­licht.[12] Hier fin­det eine Tren­nung zwi­schen der Selbst­re­prä­sen­ta­ti­on der Orga­ni­sa­ti­on und den unter­schied­li­chen Aktio­nen statt. Wäh­rend die Web­site von EXIT auf­ge­räumt und ver­bind­lich gestal­tet ist, wer­den in den ein­zel­nen Aktio­nen rechts­ra­di­ka­le Bild­wel­ten auf­ge­nom­men oder per­si­fliert. Durch die­ses Vor­ge­hen wer­den bei­de Adres­sa­ten­grup­pen getrennt ange­spro­chen und eine affekt-star­ke Kom­mu­ni­ka­ti­on mit der Ziel­grup­pe der Rechts­ra­di­ka­len möglich.

Es lässt sich zusam­men­fas­sen: Aus der rhe­to­ri­schen Design­ana­ly­se von ter­ro­ris­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­teln las­sen sich also Ziel­kon­flik­te ablei­ten, die auch für das Brie­fing von Coun­ter-Nar­ra­ti­ves eine Rol­le spie­len kön­nen. Für die zukünf­ti­ge For­schung in die­sem Feld scheint daher von beson­de­rer Bedeu­tung, den Wirk­wei­sen star­ker Affek­te nach­zu­ge­hen - über den engen Bereich des zeit­ge­nös­si­schen Ter­ro­ris­mus hin­aus: Wie »kom­mu­ni­ziert« gewalt­be­rei­ter Extre­mis­mus? Und was bedeu­tet das für etwa­ige Gegen­maß­nah­men? Die Rhe­to­rik hält hier pro­fun­des Wis­sen zur Klä­rung die­ser Fra­gen bereit.

Die­ser Bei­trag ver­bin­det in gekürz­ter Form Ele­men­te aus zwei Vor­trä­gen: »Visu­el­le Rhe­to­rik, Affek­te und Poli­tik unter der Lupe. Das Edi­to­ri­al Design des IS-Online-Maga­zins Dabiq«, an der Tagung »Design der Poli­tik – Poli­tik des Designs« am 24.5.2018 in Ingel­heim, und: »Mit Bil­dern spre­chen: Die visu­el­le Rhe­to­rik von Extre­mis­mus und Gegen­nar­ra­ti­ven« auf dem 1. Work­shop »Pilot­pro­jek­te Gegen­nar­ra­ti­ve und alter­na­ti­ve Nar­ra­ti­ve« des Schwei­ze­ri­schen Bun­des­amt für Sozi­al­ver­si­che­run­gen BSV am 14.12.2018 in Bern.


Doppelausgabe Nr. 12 und 13, Herbst 2018

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