Buchbesprechung
»Wir alle sind klüger als jeder Einzelne von uns«
Tim Brown: »Design Thinking« verändert Unternehmen
Wie entsteht Innovation? Ersinnen einsame Genies im stillen Kämmerchen die Produkte von morgen? Muss man ins Blaue forschen bis der technische Fortschritt das »Next Big Thing« hervorbringt?
Tim Brown möchte mit »Change by Design. Wie Design Thinking Organisationen verändert und zu mehr Innovationen führt« das passende Handwerkszeug für einen »leistungsstarken, effektiven und allgemein zugänglichen Innovationsansatz« (S. 4) bieten. Als CEO von »Ideo«, einer führenden Design- und Beratungsagentur, greift er auf einen großen Erfahrungsschatz mit vielen Erfolgsgeschichten zurück. »Ideo« wurde 1991 als Zusammenschluss der Designbüros von David Kelley, Bill Moggridge und Mike Nuttall gegründet. Sie waren schon zuvor an wegweisenden Designprojekten, wie der Entwicklung der ersten Computermaus für Apple, beteiligt. Im Zentrum jedes »Ideo«-Projekts steht nach wie vor der Design-Thinking-Prozess, der in Tim Browns Werk auf 196 Seiten aufgeschlüsselt wird. »Change by Design« wurde 2009 veröffentlicht und ist seit 2016 auch auf deutsch erhältlich.
Teil I, überschrieben mit »Was ist Design Thinking?«, liefert eine Übersicht darüber, wie kreative Prozesse funktionieren und wo die Design-Thinking-Methode angewandt werden kann. In sechs Kapiteln werden dem Leser die Grundprinzipien des Design Thinking nahegebracht. So beschreibt Kapitel 2 »Bedürfnisse in Nachfrage umwandeln, oder die Menschen an die erste Stelle setzen« (S. 31), wie wichtig Human-Centered-Design für den Design-Thinking-Prozess ist. Brown ermuntert dazu, den Verbraucher nicht als reines »Analyseobjekt« (S. 47) zu betrachten, denn mit »emotionalem Verständnis […], können Unternehmen aus ihren Kunden nicht Gegner, sondern Fürsprecher machen« (S. 44). Das nächste Kapitel analysiert, welche Art Unternehmenskultur innovativen Prozessen zuträglich ist. Als positives Beispiel nennt Brown das Unternehmen »Whole Foods Market«: Die Mitarbeiter des Naturkosthändlers werden explizit dazu aufgefordert, mit neuen Möglichkeiten in der Kundenbetreuung zu experimentieren. Die besten Ideen sollen die Manager weitergeben, sodass das ganze Unternehmen von ihnen profitiert. Raum für Experimente ist für Brown ein wesentlicher Bestandteil von Design Thinking, denn: »Je früher man die Fehler macht, desto eher stellt sich der Erfolg ein.« (S. 16)
Teil II wirft einen Blick in die Zukunft und fragt: »Wie geht es weiter?« (S. 123) Hier werden Anregungen gegeben, wie die Design-Thinking-Methode weitergegeben werden kann, sodass Kunden von der Methode profitieren können, auch nachdem die Zusammenarbeit mit der Innovationsagentur abgeschlossen ist. »Gebt ihnen das Netz«, fordert Kapitel 7 (S. 134). Denn um nachhaltig ein innovatives Umfeld zu schaffen, reicht es nicht, »kleine Zellen von Verschworenen mit Designkenntnissen« (S. 135) in Workshops auszubilden. Innovation »muss in die DNA eines Unternehmens eingefügt werden« (S. 135). Dabei geht Brown wieder von konkreten Projekten aus, die seine Kollegen, seine Agentur und er selbst umgesetzt haben: So schlug »Ideo« vor, anstatt interne Designer anzustellen, die gesamte Belegschaft eines Krankenhauses in Design-Thinking-Prinzipien zu schulen – mit Erfolg: Dutzende neue Ideen zur Verbesserung der Pflege waren das Ergebnis der Schulung. Vor allem sorgte diese Methode aber für ein »nie dagewesenes Engagement« (S. 137) aller Beteiligten.
Brown zeigt auch, wie Design Thinking in Zukunft einen »positive impact through design«, ganz im Sinne von »Ideo« haben kann. In seinen Beispielen streift er Themen der Designethik, indem er auf die Vorteile eines offenen und nachhaltigen Designprozesses eingeht. Brown fordert Designer dazu auf, sich auch mit großen Themen wie globaler Armut zu beschäftigen. Dabei geht es ihm vor allem um Nachhaltigkeit: Was nutze eine mit Füßen betriebene Tiefenwasserpumpe, »die mehr als 80 000 ostafrikanischen Kleinbauern zur Gründung von Kleinbetrieben« verhelfen könnte, ohne »eine lokale Infrastruktur mit Marketing, Vertrieb und Service« (S. 162)?
»Change by Design« ist nicht nur für Designer als inspirierende Lektüre zu empfehlen, sondern richtet sich an alle, die sich einen grundlegenden Überblick über Design Thinking verschaffen möchten. Brown versteht es, durch die vielen Beispiele und Anekdoten Lust auf Innovation und kreative Arbeit zu machen. Durch die gute Strukturierung ist »Change by Design« auch als Nachschlagewerk und zum Querlesen geeignet. So werden Design-Thinking-Methoden nicht nur Designern zugänglich gemacht – ganz nach dem »Ideo«-Grundsatz: »Wir alle sind klüger, als jeder Einzelne von uns.« Das Werk des »Ideo«-Chefs enthält selbstverständlich auch eine gute Portion Eigenwerbung. Letztlich beinhaltet aber jedes Beispiel aus dem eigenen Hause wichtige Aspekte des Design Thinking, sodass die Methode klar im Zentrum des Buches steht.