2. For­men, ob als Bild oder drei­di­men­sio­na­les Gebil­de, haben eine sinn­lich-inten­si­ve Wir­kung; wer­den sie bewusst her­ge­stellt und ein­ge­setzt, tra­gen sie eine Wir­kungs­in­ten­ti­on, die einen Adres­sa­ten errei­chen und ihn beein­flus­sen soll, sei es im Sin­ne reli­giö­ser Wer­te, poli­ti­scher Ideo­lo­gien oder sozia­len Ver­hal­tens. Es gibt auch kei­ne Kunst, die nicht per­sua­siv wäre, selbst Mon­dri­an woll­te mit sei­nen abs­trakt-geo­me­tri­schen Kom­po­si­tio­nen auf die Lebens­ord­nung sei­ner Adres­sa­ten Ein­fluss neh­men. Wie viel mehr gilt das für die Figu­ra­tio­nen unse­rer Lebens­welt, die ja nicht ein gestalt­lo­ses Kon­ti­nu­um dar­stellt, son­dern in ihren For­men und Figu­ren immer schon da ist und unser Bewusst­sein – als durch die Sinn­lich­keit untrenn­bar mit ihr ver­bun­den – viel­fäl­tig beein­flusst. Die Bestre­bun­gen, die man heu­te unter Design zusam­men­fasst, bedie­nen sich auf unter­schied­li­che Wei­se die­ser Ursprungs­sphä­re der Wirk­form. Um das Per­sua­si­ve, Absichts­vol­le der Zweck­fi­gur her­vor­zu­he­ben, hat man ein­mal von Kunst­hand­werk gespro­chen – als ob es eine rein ästhe­ti­sche, zweck­lo­se und inter­es­se­freie Kunst wirk­lich gäbe. Der ein­zi­ge belang­vol­le Unter­schied besteht dar­in, dass der Gegen­stand der Form­pro­duk­ti­on in dem einen Fall vor­ge­ge­ben ist, im ande­ren Fall aus und in der Pro­duk­ti­on sel­ber erwächst. Bei nähe­rem Betrach­ten erweist sich aller­dings auch die­se Tren­nung als künst­lich und nur aus heu­ris­ti­schen Grün­den zu recht­fer­ti­gen. Denn ein vier­räd­ri­ges Gefährt ist schon eine Figur in der tech­ni­schen Zeich­nung oder Skiz­ze, die ihm vor­aus­geht. Doch ist die­ser Grund­riss wesent­lich an den tech­ni­schen Erfor­der­nis­sen aus­ge­rich­tet, sei­ne Figur ist rein prag­ma­tisch, und er über­zeugt vor allem mit sei­ner mathe­ma­ti­schen, phy­si­ka­li­schen Richtigkeit.

Jeden­falls ist das die domi­nan­te Wir­kungs­in­ten­ti­on. Dass selbst ihre Dimen­si­on der Sach­lich­keit, Funk­tio­na­li­tät und Reden­haf­tig­keit von Neben­wir­kun­gen beglei­tet wird, macht jede tech­ni­sche Zeich­nung evi­dent. Die Klar­heit geo­me­tri­scher For­men erweckt Wohl­ge­fal­len, weil Rein­heit, Offen­sicht­lich­keit, Wahr­heit damit ver­bun­den sind.

Hin­zu kom­men sym­bo­li­sche Bedeu­tun­gen mit oft­mals affek­ti­schen Zusatz­wir­kun­gen. Das Recht­eck ver­mit­telt Sta­bi­li­tät, Sicher­heit, Dau­er; der Pfeil Bewe­gung, Ziel­ge­rich­tet­heit, Augen­blick­lich­keit. Wenn also der prag­ma­ti­sche Gehalt eines Gegen­stan­des sei­ne Wir­kung nie­mals total bestimmt, kann man ihn doch als einen ide­al­ty­pi­schen Extrem­pol auf der Ska­la der mög­li­chen Über­zeu­gungs­mit­tel defi­nie­ren. Für den Desi­gner gibt dem­nach das Prag­ma sei­nes Gegen­stan­des auch das Pro­gramm ab, dem er bei sei­ner Form­pro­duk­ti­on fol­gen soll­te – bei Stra­fe der »The­ma­ver­feh­lung«. Aus der prag­ma­ti­schen Bestim­mung eines Autos, sich auf der Erde, auf Stra­ßen, Wegen, Plät­zen zu bewe­gen, erge­ben sich schon die Grund­zü­ge eines Form­pro­gramms, in dem zum Bei­spiel die Räder nicht feh­len dür­fen. Doch der Spiel­raum, der durch tech­ni­sche Zweck­set­zung, Funk­tio­na­li­tät defi­niert wird, ist groß, wie ein Blick zum Bei­spiel in die Form­ge­schich­te des Auto­mo­bils ver­rät. Die­ser Spiel­raum gewinnt in dem Augen­blick eine beson­de­re Bedeu­tung, in dem ein Pro­dukt gegen ein ande­res antritt, gar meh­re­re Pro­duk­te mit­ein­an­der um den­sel­ben Adres­sa­ten kon­kur­rie­ren, in dem sich also, rhe­to­risch gespro­chen, eine ago­na­le Situa­ti­on herstellt.

Die rein prag­ma­ti­sche Argu­men­ta­ti­on reicht nicht mehr aus, um den Streit zu den eige­nen Guns­ten zu ent­schei­den. Mag es zunächst noch genü­gen, durch tech­ni­sche Fort­schrit­te einen Vor­sprung zu gewin­nen, so ver­fan­gen die­se doch umso weni­ger, je voll­kom­me­ner tech­nisch aus­ge­reift der Gegen­stand in allen Vari­an­ten ist und/oder je nach­ran­gi­ger und unbe­trächt­li­cher die neu­en Errun­gen­schaf­ten sind. Sofort gewin­nen jene Über­zeu­gungs­mit­tel an Gewicht, die bis­lang die prag­ma­ti­schen nur beglei­te­ten, bloß auf über­tra­ge­ne Wei­se mit ihnen zusam­men­hän­gen (wie die aus­ge­stell­ten »Heck­flos­sen« eines Stra­ßen­kreu­zers) oder sie gar in der Emp­fin­dung erset­zen (wie ein Kleid, das nicht mehr die Blö­ße des Kör­pers bedeckt und schützt, son­dern sie gera­de der sexu­el­len Wir­kung wegen ausstellt).


Ausgabe Nr. 1, Herbst 2012

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