3. Es sind die Gefühls­grün­de, die der Desi­gner jetzt ins Kampf-Feld um die Gunst sei­ner Adres­sa­ten führt, und die er aus den emo­tio­na­len Wir­kungs­funk­tio­nen der For­men – und Far­ben – gewinnt. Tat­säch­lich ist die Far­be in den meis­ten Fäl­len ein Zusatz, prag­ma­tisch aus der Funk­tio­na­li­tät nicht begrün­det, son­dern auf die rei­ne Gefühls­re­so­nanz berech­net: sie soll gefal­len. Die Ska­la der emo­tio­na­len Wir­kungs­in­ten­tio­nen reicht von Ver­trau­en und Erfreu­en bis zum Hin­rei­ßen­den, zur Ent­zü­ckung und Auf­rei­zung. Doch wor­auf grün­det sich ihre Über­zeu­gungs­kraft, da doch die Gefühls­re­ak­ti­on aus dem Augen­blick gebo­ren und indi­vi­du­ell höchst unter­schied­lich ist? Die prag­ma­ti­sche Dimen­si­on visu­el­ler Bered­sam­keit eines Gebrauchs­ge­gen­stan­des ergibt sich aus der Funk­tio­na­li­tät der Form: sie stellt Vor-und Nach­tei­le her­aus, wen­det sich an die Urteils­kraft des Adres­sa­ten, an sei­ne Ver­stän­dig­keit und Ver­nünf­tig­keit, an das Ver­mö­gen also, das uns mit allen Men­schen ver­bin­det und das nach all­ge­mein gül­ti­gen Regeln verfährt.

Auch die Gefühls­grün­de bedür­fen einer sol­chen über­in­di­vi­du­el­len Refe­renz, sol­len sie all­ge­mein über­zeu­gend sein. Tat­säch­lich bedient sich der Desi­gner (wie jeder bil­den­de, visu­el­le Künst­ler, auch wie jeder Thea­ter-und Film­re­gis­seur) nicht der indi­vi­du­el­len, son­dern der kol­lek­ti­ven Gefühls­prä­gun­gen: sie sind die psy­cho­so­zia­len Deter­mi­nan­ten unse­res indi­vi­du­el­len Gefühls­le­bens, gleich­sam die Resul­tan­ten der emo­tio­na­len Ver­hal­tens­wei­sen in einer Gesell­schaft und damit natür­lich von deren geschicht­li­chem Stand und ihrer kul­tu­rel­len Eigen­art abhän­gig. Die­se Gefühls­prä­gun­gen haben sich for­mal ver­fes­tigt. Eine auf Mobi­li­tät ein­ge­stell­te Gesell­schaft erzeugt For­men, deren gefühls­be­we­gen­de Kraft sie stän­dig anreizt und bestä­tigt. Der Desi­gner, der sich ihrer bedient, über­zeugt; er greift auf sie als auf Leit­for­men zurück, indem er sei­ne Pro­dukt­fi­gur von ihnen ablei­tet. Inter­ci­ty und Sport­cou­pé rekur­rie­ren der­art auf die­sel­ben Leit­for­men von Pfeil oder Keil, die auch in ganz ande­ren Sek­to­ren, zum Bei­spiel in Küchen­ge­rä­ten, wie­der­keh­ren. Ähn­lich ver­kör­pert das Bau­haus-Design immer und immer wie­der, ob in der Gebäu­de-oder Innen­ar­chi­tek­tur oder in der Form­ge­bung eines Schach­spiels, die Leit­for­men von Wür­fel, Recht­eck, Kris­tall, deren emo­tio­na­le Wir­kung als Gerad­li­nig­keit, Ehr­lich­keit, Unge­ziert­heit umschrie­ben wer­den kön­nen: ein Ethos-Wohl­ge­fal­len also. Leit­for­men sind Ergeb­nis eines Gefühls-Kon­sen­ses, der von öko­no­mi­schen, sozia­len, kul­tu­rel­len Bedin­gun­gen abhängt und sich zum Aus­druck der For­men bedient, die im visu­el­len Gedächt­nis einer Gesell­schaft (oder eines Teils die­ser Gesell­schaft, eben der vom Desi­gner als die eige­nen iden­ti­fi­zier­ten Adres­sa­ten) auf­be­wahrt sind.

Doch darf der Desi­gner es dabei nicht bewen­den las­sen. Die Form­pro­duk­ti­on durch­läuft die Sta­di­en, die wir aus der Rede ken­nen. Nach­dem er den Gegen­stand nach den Grund­sät­zen der Zweck­mä­ßig­keit und Funk­tio­na­li­tät erfasst hat, wird der Desi­gner die Leit­for­men ermit­teln. In der Regel kann er sie von der Gestalt der Pro­duk­te abzie­hen, die immer schon kur­sie­ren, und sie in der all­ge­mei­nen Bestim­mung einer Anschau­ung, in einem Sche­ma, abs­tra­hie­ren. Der inven­ti­ve Vor­gang wird sich in der Repro­duk­ti­on aber nicht erschöp­fen: Fin­den und Erfin­den sind die bei­den Teil­auf­ga­ben in die­ser Pha­se, das heißt, die geziel­te Abwei­chung vom Sche­ma, die Kom­bi­na­ti­on mit ande­ren Sche­ma­ta ver­gleich­ba­rer Pro­duk­te und ihre Ver­schmel­zung oder die Wei­ter­ent­wick­lung des Sche­mas müs­sen zur Ori­en­tie­rung am sach­lich und for­mal Vor­ge­ge­be­nen hin­zu­kom­men. Wie die Plau­si­bi­li­tät der Rede lei­det oder ganz ver­schwin­det, wenn der Red­ner nur immer wie­der die alt­be­kann­ten Argu­men­te anbringt, so erfährt der Desi­gner einen Nach­teil, der stets nur die her­ge­brach­ten Form-Sche­ma­ta wiederholt.

Illus­tra­tion: Thilo Rothacker

Illus­tra­tion: Thi­lo Rothacker


Ausgabe Nr. 1, Herbst 2012

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