Die rhe­to­ri­sche Wir­kung, die Laß­witz’ Tech­nik­be­schrei­bun­gen her­vor­ru­fen, grün­det nicht allein, aber eben auch auf der Form, die die Tech­nik annimmt, dar­auf, wie sie gestal­tet wur­de: Das Design ist ein Teil der Rhe­to­rik der Tech­nik.[38] Auf den Zusam­men­hang zwi­schen Rhe­to­rik und Tech­nik hat Nor­bert Bolz in sei­nem Buch »Das Gestell« hin­ge­wie­sen und dar­in ein Kapi­tel mit »Die Rhe­to­rik der Tech­nik« beti­telt.[39] An ande­rer Stel­len spricht er – zwar mit Blick auf den Com­pu­ter, aber der Gedan­ke lässt sich ver­all­ge­mei­nern – von der Benut­zer­freund­lich­keit als Rhe­to­rik der Tech­nik, die vom »Inter­face Design« gestal­tet wer­de.[40]. Durch das Design, das uns die Din­ge so leicht hand­hab­bar mache, ohne dass wir ihre tech­ni­sche Kon­struk­ti­on ver­stün­den, ent­ste­he eine »Benut­ze­ril­lu­si­on der Welt«[41]. Eben­so tre­ten Salt­ner und Grun­the die tech­ni­schen Annehm­lich­kei­ten der Mar­tier ent­ge­gen, sie las­sen sich leicht nut­zen; als Natur­for­scher sind die bei­den aller­dings dar­an inter­es­siert, die unter der Benut­zer­ober­flä­che lie­gen­den tech­ni­schen Mecha­nis­men zu ver­ste­hen – wenn­gleich ihr Wis­sens­rück­stand gegen­über den Mar­ti­ern nicht auf­zu­ho­len ist.

Die künst­li­che Insel, die die Mar­tier am Nord­pol errich­tet haben, ist ein »Sta­pel­platz aller der Vor­rä­te und Werk­zeu­ge, wel­che die Mar­tier hier all­mäh­lich ansam­mel­ten, um die Erobe­rung der Erde von Nord­pol aus vor­zu­be­rei­ten«[42]. Die­se Boden­sta­ti­on wur­de als ein leis­tungs­star­ker Elek­tro­ma­gnet kon­stru­iert, der mit effi­zi­ent aus­ge­nutz­ter Son­nen­en­er­gie gespeist wird und die Raum­sta­ti­on an ihrer Posi­ti­on hält. Auf der Insel sind Behau­sun­gen und Unter­künf­te der mar­ti­schen Mann­schaft mit erstaun­li­chem Kom­fort aus­ge­stat­tet. Wer hät­te nicht gern eine »selbst­thä­ti­ge Gar­de­ro­be«[43], die die acht­los fal­len­ge­las­se­nen Klei­dungs­stü­cke an sich zieht und von selbst ordent­lich sor­tiert? Zim­mer­tü­ren öff­nen und schlie­ßen sich eben­falls selbst­tä­tig[44], Bücher las­sen sich an ihrem Hal­ter ein­hän­dig umblät­tern, Wör­ter­bü­cher brin­gen Lau­te einer frem­den Spra­che zum Klin­gen[45], Spei­sen und Geträn­ke kom­men aus Spen­dern an den Tischen, das Licht geht an, wenn mor­gens beim Auf­ste­hen die Füße den Boden berüh­ren[46], Tische klap­pen in Hand­um­dre­hen auf und gleich­zei­tig fah­ren die zuge­hö­ri­gen Ses­sel aus dem Boden hoch [47] – so ist das »im Lan­de der auto­ma­ti­schen Bedie­nung«[48].

»Die Wun­der der Tech­nik, wel­che die For­scher bei jedem Schritt auf der Insel umga­ben, ver­setz­ten sie in eine neue Welt. Sie fühl­ten sich in der benei­dens­wer­ten Lage von Men­schen, die ein mäch­ti­ger Zau­be­rer der Gegen­wart ent­rückt und in eine fer­ne Zukunft geführt hat, in wel­cher die Mensch­heit eine höhe­re Kul­tur­stu­fe erklom­men hat. Die kühns­ten Träu­me, die ihre Phan­ta­sie von der Wis­sen­schaft und Tech­nik der Zukunft ihnen je vor­ge­spie­gelt hat­te, sahen sie über­trof­fen. Von den tau­send klei­nen auto­ma­ti­schen Bequem­lich­kei­ten des täg­li­chen Lebens, die den Mar­ti­ern jede per­sön­li­che Die­ner­schaft ersetz­ten, bis zu den Rie­sen­ma­schi­nen, die, von der Son­nen­en­er­gie getrie­ben, den Mars­bahn­hof in sechs­tau­send Kilo­me­ter Höhe schwe­bend erhiel­ten, gab es eine uner­schöpf­li­che Fül­le neu­er Tat­sa­chen, die zu immer neu­en Fra­gen dräng­ten. Bereit­wil­lig gaben die Wir­te ihren Gäs­ten Aus­kunft, aber in den meis­ten Fäl­len war es gar nicht mög­lich, ihnen den Zusam­men­hang zu erklä­ren, weil ihnen die Vor­kennt­nis­se fehl­ten.«[49] Die Men­schen sind, tech­nisch wie kul­tu­rell, für die Mar­tier auf dem Stand von Kin­dern, und eben­so behan­deln sie sie.

Grun­the und Salt­ner wer­den von den Mar­ti­ern zu ihrer Raum­sta­ti­on mit­ge­nom­men, an der ihre vom Mars kom­men­den und eben­so die von der Erde retour rei­sen­den Raum­schif­fe ando­cken. Die bei­den Men­schen bekom­men dort die Gele­gen­heit, ihren Hei­mat­pla­ne­ten durch ein äußerst leis­tungs­star­kes Tele­skop in Augen­schein zu neh­men, sie sind also die ers­ten Men­schen, die den eige­nen Pla­ne­ten aus dem All betrach­ten. Die­ses Tele­skop lässt sich in kei­ner Wei­se mehr ver­glei­chen mit dem »Abbé’schen Reli­ef­fern­rohr«, das zur Bal­lon­aus­stat­tung der Nord­pol­ex­pe­di­ti­on gehör­te; was das Tele­skop der Mar­tier auf­nimmt, wird in einem abge­dun­kel­ten Saal groß­for­ma­tig auf die Wand pro­ji­ziert, so wie man das heut­zu­ta­ge mit einem Bea­mer erreicht. Die Mar­tier fah­ren das Bild dicht her­an, so dass man in Ber­lin ein­zel­ne Gebäu­de scharf erken­nen kann. Aller­dings nützt die bestechen­de Tech­nik nichts gegen die Luft­ver­schmut­zung, die die deut­sche Haupt­stadt »in einem grau­en Nebel«[50] ver­hüllt, aus dem »nur die Tür­me und Kup­peln der Kir­chen her­vor­rag­ten. Deut­lich erkann­te man den Reflex der Son­ne an dem Dache des Reich­tags­ge­bäu­des und an der Sie­ges­säu­le.«[51] Die Mar­tier wer­den von Grun­the und Salt­ner auf­ge­klärt, wodurch die­se Nebel ent­ste­hen, näm­lich von den mit Koh­le beheiz­ten Gebäu­den. Auf dem Mars liegt die »Peri­ode der Koh­le­en­er­gie […] um meh­re­re hun­dert­tau­send Jah­re zurück. Ras­sen, Staa­ten und Stän­de in hei­ßem Kon­kur­renz­kampf um Lebens­un­ter­halt und Genuß, die ethi­schen und ästhe­ti­schen Idea­le noch nicht rein geschie­den von den theo­re­ti­schen Bestim­mun­gen, der Ener­gie­ver­brauch ganz auf das Pflan­zen­reich ange­wie­sen, ob die­se Ener­gie nun von der Land­wirt­schaft aus den leben­den oder von der Indus­trie aus den begra­be­nen Pflan­zen, den Koh­len, gezo­gen wur­de.«[52] Die Mar­tier fra­gen des­halb die bei­den Men­schen erstaunt: »Aber war­um neh­men Sie die Ener­gie nicht direkt von der Son­nen­strah­lung? Sie leben ja vom Kapi­tal statt von den Zin­sen.«[53] Ein Roman aus dem Jah­re 1897 for­mu­liert Fra­gen und Ideen, die sich gut mach­ten in unse­ren Dis­kus­sio­nen über die Klimakrise …

Der für die Mar­tier wich­tigs­te Kom­fort auf ihrer Nord­pol-Insel liegt dar­in, dass es in den Zim­mern mög­lich ist, die Schwer­kraft ein­zu­stel­len. So kön­nen die Mar­tier ihre hei­mi­schen Ver­hält­nis­se simu­lie­ren; unter den Ver­hält­nis­sen auf der Erde mit ihrer stär­ke­ren Gra­vi­ta­ti­ons­kraft geben die Mar­tier näm­lich zuerst ein­mal kei­ne gute Figur ab, sie kön­nen sich nur dahin­schlep­pen, ihre Mus­kel­kräf­te sind nicht an die hie­si­gen Ver­hält­nis­se ange­passt, son­dern eben an denen auf dem Mars. Im Ver­lauf des Romans, wenn die Mar­tier sich vom Nord­pol weg­be­we­gen und die Erde erobern, behel­fen sie sich mit einer tech­ni­schen Ent­wick­lung: Sie tra­gen Hel­me, die die Erd­an­zie­hung abmil­dern, so dass sie sich nor­mal bewe­gen kön­nen: Kör­per­li­che Unter­le­gen­heit mach­te sich nicht gut bei neu­en Herr­schern, geis­ti­ge und tech­ni­sche Über­le­gen­heit müs­sen eine leib­li­che Ent­spre­chung fin­den. Auch in die­sem Motiv lässt Laß­witz Tech­nik zu einer dra­ma­tur­gi­schen Trieb­fe­der wer­den: Mit Tech­nik über­win­den die Mar­tier ihre kör­per­li­che Unter­le­gen­heit; aber die­se »Pro­the­sen« wer­den am Ende auch zu einer Schwä­che, die die Men­schen in ihrem Befrei­ungs­kampf gegen die Mar­tier wenden.