Exkurs: Systemtheorie
An dieser Stelle bietet sich ein kurzer Exkurs in die allgemeine Systemtheorie an. Einer ihrer Gründerfiguren, der Biologe und Systemtheoretiker Ludwig von Bertalanffy, definierte Systeme als »complexes of elements standing in interaction«[17]. Da konkrete Techniken, wie eben illustriert, als aufgebaut aus interagierenden Elementen verstanden werden können, lassen sie sich ebenfalls als Systeme beschreiben. Die allgemeine Systemtheorie hat, basierend auf der angeführten grundlegenden Systemdefinition, eine Reihe hilfreicher Begrifflichkeiten entwickelt. Hiervon sollen an dieser Stelle nur selektiv zwei Aspekte vorgestellt werden: eine Unterteilung in verschiedene Systemauffassungen und die systemtheoretische Unterscheidung von Kompliziertheit und Komplexität. Der Ingenieur, Technikphilosoph und Systemtheoretiker Günter Ropohl führt drei charakteristische Analysemodi von Systemen im Hinblick auf Funktion, Struktur und Hierarchie an[18]. Die funktionale Beschreibung konzentriert sich auf Eingangs- und Ausgangsgrößen von Systemen. In der strukturalen Analyse geht es um die Verknüpfungen bzw. Relationen zwischen Systemelementen und die hierarchische Systemauffassung beschreibt das Enthaltensein von Systemen in übergreifenden Systemen – sogenannten »Supersystemen« –; die Elemente von Systemen werden als »Subsysteme« begriffen. Um auf das schon genannte Pumpen-Beispiel zurückzukommen: Die Pumpe wäre hier das betrachtete System, eine Schraube eines ihrer Subsysteme, das ihrerseits wieder aus Metallatomen zusammengesetzt ist, und die gesamte Anlage, in der sie verbaut ist, ihr Supersystem. Weiterhin erarbeitete die allgemeine Systemtheorie ein präzises Verständnis von Kompliziertheit und Komplexität, wobei Kompliziertheit die Anzahl an Systemelementen beschreibt und Komplexität die Anzahl an Verbindungen zwischen diesen Systemelementen. Für einen Überblick über weitere systemtheoretische Konzeptionen sei der Leser auf Ropohls Allgemeine Systemtheorie verwiesen.[19] Anschließend an diesen Exkurs werden im Folgenden die Bausteine verschiedener Techniken als Elemente bezeichnet und die Kombinationen von interagierenden Elementen, wie sie in technischen Artefakten oder Prozessen zu finden sind, als Systeme.
An dieser Stelle ist es wichtig, an eine weitere zentrale Erkenntnis aus der allgemeinen Systemtheorie zu erinnern: Systeme »existieren« nicht in der Welt, sie sind stets konstruiert. Unter verschiedenen Schwerpunkt- bzw. Zielsetzungen resultieren daher variierende systemhafte Beschreibungen[20]. In diesem Sinne ergibt sich auch eine Dialektik zwischen technischen Systemen und ihren Elementen. Systeme werden je nach ihrem Erfolg auf ihre Elemente analysiert[21]. Technische Systeme sind dann erfolgreich, wenn sie gewünschte oder nützliche Funktionen bereitstellen. Welche Funktionen gewünscht oder nützlich sind, entscheiden allerdings zu einem großen Teil die Nutzer technischer Systeme. Der Erfolg und Kriterien des Erfolgs entstehen somit in enger Wechselwirkung mit sozialen Bewertungen. Die Zerlegung in Elemente geschieht entsprechend auch so, dass die getroffene Dekomposition wiederum geeignet ist, weitere funktionale Systeme zu bilden. Technische Systeme wie auch ihre Elemente sind daher immer schon sozial imprägniert[22].
Baustein 2: Prägung durch Paradigmen
Bei einem gegebenen Vorrat an Elementen sind schnell sehr viele Kombinationen möglich. Bereits mit zehn unterschiedlichen Elementen ergeben sich 92378 Kombinationen, wenn Systeme aus ebenfalls zehn Bestandteilen gebildet werden und dieselben Elemente mehrfach verwendet werden können. Bei 50 Elementen sind es schon über 5⋅1028 mögliche Kombinationen (eine 5 mit 28 Nullen). Nun mag zurecht angemerkt werden, dass kaum ein technisches System alle verfügbaren Elemente ausschöpft. Sollen etwa aus zehn Elementen weniger komplizierte Systeme[23] mit nur fünf Elementen konstruiert werden, bleiben noch 2002 Möglichkeiten, eine deutliche Reduktion verglichen mit dem Fall, bei dem alle zehn verwendet wurden. Wird der Vorrat an Elementen auf 50 erhöht, aus denen weiterhin fünf eingesetzt werden sollen, resultieren 3162510 mögliche Kombinationen. Mathematisch wurde hier die Anzahl an »Kombinationen mit Wiederholung« berechnet, ein Vorgehen, welches in jeder entsprechenden Formelsammlung zu finden ist.
- [17] Bertalanffy, Ludwig von: General System Theory. New York 1968. S. 33.
- [18] Ropohl, Allgemeine Technologie, a.a.O, S. 75—83.
- [19] Ropohl, Günter: Allgemeine Systemtheorie. Berlin 2012.
- [20] Ropohl, Allgemeine Systemtheorie, a. a. O., S. 52.
- [21] Der Vollständigkeit halber soll darauf hingewiesen, dass die Dimension Erfolg auch Misserfolg miteinschließt. Aus einer Ingenieursperspektive hat z. B. Petroski wiederholt auf die Wichtigkeit technischen Versagens als Erkenntnisquelle hingewiesen; vgl. Petroski, Henry: To Engineer is Human. The Role of Failure in Successful Design. New York 1985. In der Philosophie hat Heidegger früh darauf aufmerksam gemacht, dass Technik dann auffällig wird, sobald sie nicht mehr einwandfrei funktioniert und sich damit durch »Unzuhandenheit« auszeichnet; vgl. Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen 2001. S. 73.
- [22] Für eine Arbeit, die ein starkes Gewicht auf die sozialen Einflüsse legt, verweise ich auf Bijker, Wiebe E.; Hughes, Thomas P.; Pinch, Trevor: The Social Construction of Technological Systems. Cambridge/MA 1989.
- [23] vgl. Exkurs.