Essay
Elemente, Paradigmen, Medien
Bausteine für ein Nachdenken über Technik
In diesem Beitrag soll für eine spezifische Betrachtungsweise der Technik geworben werden. Es geht um die Frage: Wie kann Technik gedacht und über Technik nachgedacht werden? Und natürlich damit verbunden: Wie kann über Technik gesprochen werden?[1] Dabei geht es mir nicht um ein möglichst allgemeines Technikverständnis, etwa im Sinne eines umfassenden soziotechnischen Systems[2], sondern um Technik, wie sie in einzelnen Artefakten und Prozessen realisiert ist[3]; allein in diesem Sinne wird im Folgenden der Begriff »Technik« gebraucht. Dies ist eine bewusste Einschränkung. Ich möchte nicht bestreiten, dass einzelne Techniken immer in größere systemische Zusammenhänge eingebunden sind und mit diversen ökonomischen, politischen und sozialen Faktoren wechselwirken. Entsprechend wird im weiteren Verlauf diese Wechselwirkung unweigerlich am Rande berührt.
Für die angestrebte Betrachtungsweise werden verschiedene Theorie-Bausteine zusammengetragen. Diese Bausteine sind – je mit Blick auf die Technik – »Aufbau aus Elementen«, »Prägung durch Paradigmen« und »Gestaltung in Medien«. Die genannten Bausteine sind selbst nicht neu und an diversen Stellen in der Literatur zu finden, wie ich exemplarisch zeigen werde. Allerdings werden diese Aspekte meist einseitig ins Feld geführt, was die resultierenden Technikkonzeptionen mindestens unvollständig macht. Im Folgenden werden die genannten Bausteine nacheinander vorgestellt und kritisch diskutiert sowie am Ende zu einem Gesamtbild zusammengeführt. Zuletzt wird dafür argumentiert, dass das Denken in der genannten Trias diverse theoretische und praktische Vorteile mit sich bringt.
Baustein 1: Aufbau aus Elementen
Konkrete technische Artefakte und Prozesse sind immer aus verschiedenen Elementen aufgebaut. Betrachten wir zuerst einfache technische Gegenstände in der Form mechanischer Vorrichtungen. Bereits antike Autoren stellten fest, dass sich ihre mechanischen Techniken auf »einfache Maschinen« oder »Basismechanismen« zurückführen lassen[4]. Je nach Quelle sind diese einfachen Maschinen z. B. Seil bzw. Stab (ändert den Angriffspunkt einer Kraft), Rolle (Ändert die Richtung einer Kraft) und schiefe Ebene bzw. Keil (ändert Betrag und Richtung einer Kraft). Eine Schraube entstünde damit aus der Kombination aus einem Stab und einer schiefen Ebene, wobei die schiefe Ebene als um den Stab gewickelt verstanden werden kann. Die Idee von einzelnen Basismechanismen spielte über die Jahrhunderte eine wichtige Rolle in der Lehre der Technikwissenschaften. So wurde z. B. im 19. Jahrhundert Christopher Polhems Modellsammlung und seine Idee eines damit dargestellten »mechanischen Alphabets« bekannt[5]. Noch heute hören alle Maschinenbaustudenten Vorlesungen zum Thema »Maschinenelemente«[6], ein Feld in dem die entsprechenden materiellen Elemente wie auch die zugehörigen Berechnungs- und Auslegungsmethoden gelehrt werden. Ein Standardwerk in der Verfahrenstechnik trägt den Titel Elemente des Apparatebaues[7]. Auch verfügen aktuelle CAD-Programme[8] fast ausnahmslos über einen part- und einen assembly-Modus, wobei im ersten Einzelteile konstruiert und im zweiten Modus diese zu einer Gesamtkonstruktion zusammengesetzt werden.
Interessanterweise lässt sich diese Aufteilung in Elemente auf unterschiedlichen Ebenen durchführen. Eine Pumpe zum Fördern von Flüssigkeiten ist bspw. aus Gehäuseteilen, Schrauben, Dichtungen, einer Welle und einem Rotor aufgebaut. Diese Pumpe kann ihrerseits jedoch wieder Teil einer technischen Anlage sein, z. B. im Rahmen eines verfahrenstechnischen Prozesses, in dem sie mit Rohrleitungen und Kesseln – also weiteren Elementen – kombiniert wird. Die betreffende Anlage kann abermals Teil eines größeren Zusammenhangs sein, etwa eines Anlagenverbundes[9].
Weiterhin ist zu beachten, dass neue technische Artefakte nicht nur im Bereich des Mechanischen aus vorher bereits existierenden Elementen zusammengesetzt sind; dies gilt ebenso für elektronische Techniken. Die Elemente hierbei sind bspw. Leiterbahnen, Widerstände, Transistoren und Dioden. Jedoch nicht immer liegen die beteiligten Elemente in einer solch diskreten, klar abgrenzbaren Form vor. Ich würde etwa auch bei pharmazeutischen Produkten von technischen Artefakten sprechen[10]. Denkt man an eine Kopfschmerz-Tablette, liefern die Inhaltsstoffe eine mögliche Einteilung in Elemente, also z. B. der Wirkstoff Aspirin (chemisch Acetylsalicylsäure) wie auch weitere Hilfsstoffe (z. B. Cellulose, Lactose oder Stärke), die zusammen zu einer Tablette verpresst werden. Für manche Produktgruppen sind sogar die zulässigen Elemente gesetzlich vorgeschrieben. Typisch hierfür ist das deutsche Reinheitsgebot, welches die Zutaten festlegt, die beim Bierbrauen zum Einsatz kommen dürfen.
- [1] Dieser Text versteht sich damit auch als Beitrag zu einer Rhetorik der Technik; vgl. Friedrich, Volker: Zur Rhetorik der Technik. In: Sprache für die Form, Ausgabe Nr. 11, Herbst 2017. Online verfügbar unter: https://www.designrhetorik.de/zur-rhetorik-der-technik/
- [2] vgl. z. B. Ropohl, Günter: Allgemeine Technologie. Karlsruhe 2009.
- [3] Ich verstehe unter einem technischen Artefakt hier einen künstlich hervorgebrachten, materiellen Gegenstand mit funktionaler Ausrichtung. Durch technische Prozesse werden Artefakte produziert; Prozesse werden selbst unter Verwendung von Artefakten umgesetzt, z. B. Maschinen und Anlagen.
- [4] Usher, Abbot Payson: A History of Mechanical Invenstions. New York 1988. S. 120—122.
- [5] Ferguson, Eugene S.: Engineering and the Mind’s Eye. Cambridge/MA 1994. S. 137—142, 216 (Endnote 29).
- [6] vgl. z. B. Wittel, Herbert; Jannasch, Dieter; Voßiek, Joachim; Spura, Christian: Roloff/Matek Maschinenelemente. Wiesbaden 2017.
- [7] Titze, Hubert; Wilke, Hans-Peter: Elemente des Apparatebaues. Berlin 1992.
- [8] CAD = computer-aided design; die Abkürzung bezeichnet also Softwaresysteme zur Konstruktion am Computer.
- [9] Ropohl, Allgemeine Technologie, a. a. O., S. 122.
- [10] vgl. Anmerkung 3 oben.