3 Rhe­to­rik und Politik

Vor die­sem Hin­ter­grund hat eine Dis­kus­si­on über Rhe­to­rik und Poli­tik gro­ße Aktua­li­tät. Aktu­ell ist das The­ma im Grun­de immer, nur hat es sich in den ver­gan­ge­nen Mona­ten in das öffent­li­che Bewusst­sein gerückt. Dazu hat die ame­ri­ka­ni­sche Prä­si­dent­schafts­wahl bei­getra­gen, der Amts­in­ha­ber gibt den Rhe­to­rik­wis­sen­schaft­lern so schnell Bei­spie­le einer bestimm­ten Form der poli­ti­schen Rhe­to­rik an die Hand, dass die Wis­sen­schaft­ler mit der Aus­wer­tung nicht mehr hin­ter­her­kom­men. Ich wer­de dafür nur weni­ge Bei­spie­le anfüh­ren, die Medi­en ver­sor­gen uns dar­über Tag für Tag mit Infor­ma­tio­nen und Ana­ly­sen. Mei­ne Aus­füh­run­gen wol­len den Werk­zeug­kas­ten des Rhe­to­rik­wis­sen­schaft­lers ein wenig öff­nen, um zu zei­gen, wie mit den Erkennt­nis­sen der Rhe­to­rik Tie­fen­schich­ten poli­ti­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on unter­sucht und ver­stan­den wer­den kön­nen, und um Vor­schlä­ge zu ent­wi­ckeln, wie eine Gesell­schaft sich dage­gen wapp­nen kann, einer bestimm­ten Rhe­to­rik auf den Leim zu gehen.

Die Rhe­to­rik als Wis­sen­schaft ist das Teil­ge­biet der Phi­lo­so­phie, das die mensch­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on unter­sucht; Rhe­to­rik unter­sucht, wie wir mit kom­mu­ni­ka­ti­ven Mit­teln für unse­re Ideen wer­ben und wie wir ande­re von unse­ren Vor­schlä­gen über­zeu­gen kön­nen; Rhe­to­rik unter­sucht, wie wir Argu­men­ta­tio­nen schlüs­sig und plau­si­bel ent­wi­ckeln kön­nen. Rhe­to­rik ist die ältes­te und am wei­tes­ten aus­ge­bau­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft. Ent­stan­den ist sie in der Zeit, als die ers­ten Demo­kra­tien auf­tauch­ten; Herr­scher in nicht-demo­kra­ti­schen Sys­te­men, Tyran­nen, Auto­kra­ten brau­chen nicht zu über­zeu­gen, sie kön­nen befeh­len. Demo­kra­tien hin­ge­gen leben vom Wett­be­werb der Ideen, vom Wett­be­werb der Argu­men­te. Die­ser Wett­be­werb kann nur dann sinn­voll von­stat­ten gehen, wenn die Bür­ger einer Demo­kra­tie ihn zu bestrei­ten und zu schät­zen wissen.

4 Dem­ago­gie als »böse Rhetorik«

In der Rhe­to­rik kön­nen wir, in gro­ber Ver­ein­fa­chung, unter­schei­den zwi­schen der »guten« Rhe­to­rik, die sich in den Dienst des Aus­tau­sches von Argu­men­ten stellt, und der »bösen« Rhe­to­rik, die wir als Dem­ago­gie und Pro­pa­gan­da bezeich­nen, die Men­schen zu mani­pu­lie­ren trachten.

Einer der bedeu­tends­ten Poli­tik­wis­sen­schaft­ler und Phi­lo­so­phen, die sich im 20. Jahr­hun­dert mit Spra­che und Poli­tik befasst haben, war Dolf Stern­ber­ger. In einem Auf­satz hielt er fol­gen­de Gedan­ken über Dem­ago­gen fest: »Ein Dem­ago­ge im her­kömm­li­chen Sinn ist ein Mensch, der unver­ant­wort­lich die bösen Trie­be mobi­li­siert und aus­nutzt um sei­ner eige­nen Macht­stel­lung wil­len. Aber ein unver­ant­wort­li­cher Red­ner ist eben ein schlech­ter Red­ner, und der Appell an Neid und Haß (ist) weiß Gott nicht das A und O der Bered­sam­keit. Ein guter Red­ner appel­liert gewiß an die Emp­fin­dun­gen sei­ner Hörer, aber doch immer zugleich an ihren Ver­stand. Er trägt Argu­men­te vor, Bewei­se für sei­ne The­sen, er beherrscht und glie­dert sei­nen Stoff und führt alle Fäden zu dem Zie­le zusam­men, das er errei­chen möch­te.«[3] Und etwas spä­ter fin­den wir in die­sem Auf­satz fol­gen­de Zei­len: »Eine Demo­kra­tie ohne Rede­kunst ist im Ver­dor­ren. Wie soll­ten die Leu­te an den poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen teil­neh­men kön­nen, wenn die Poli­ti­ker nicht beredt sind?«[4] Zu ergän­zen wäre: In der Demo­kra­tie soll­ten nicht nur die Poli­ti­ker über Rede­kunst ver­fü­gen, son­dern die Bür­ger soll­ten die­se Rede­kunst auch zu deu­ten und zu wür­di­gen wissen.

5 Trumps Rhetorik

Schau­en wir uns Bei­spie­le aus der Rhe­to­rik des ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Donald Trump an. In der Wochen­zei­tung »Die Zeit« schrieb Adam Sobo­zyn­ski eine span­nen­de Ana­ly­se dazu, aus der aus­führ­li­cher zitiert sein soll:

»Man muss eini­ge Sät­ze aus Trumps Ver­ei­di­gungs­re­de noch ein­mal aus­führ­lich auf sich wir­ken las­sen: ›Heu­te über­ge­ben wir die Macht nicht nur von einer Regie­rung an die ande­re oder von einer Par­tei an die ande­re, son­dern wir neh­men die Macht von Washing­ton, D.C., und geben sie an euch, das Volk (“the Ame­ri­can peo­p­le”), zurück. Zu lan­ge hat eine klei­ne Grup­pe in der Haupt­stadt unse­res Lan­des von der Regie­rung pro­fi­tiert, und das Volk hat die Kos­ten getra­gen (…). Wir wer­den kei­ne Poli­ti­ker mehr akzep­tie­ren, die nur reden und kei­ne Taten set­zen (…). Die Zeit für lee­res Gere­de ist vor­bei. Nun kommt die Stun­de des Han­delns.‹ Ame­ri­ka wer­de gre­at again: ›Wir wer­den unse­re Leu­te (…) wie­der zur Arbeit brin­gen, unse­re Nati­on mit ame­ri­ka­ni­schen Hän­den und ame­ri­ka­ni­scher Arbeit wie­der aufbauen.‹
Und jetzt noch ein län­ge­res Zitat: ›Wir wol­len arbei­ten, aber das Volk selbst, es muss mit­hel­fen. Es soll nie glau­ben, dass ihm plötz­lich Frei­heit, Glück und Leben vom Him­mel geschenkt wird. Alles wur­zelt nur im eige­nen Wil­len, in der eige­nen Arbeit (…). Glau­be nie­mals an frem­de Hil­fe, nie­mals an Hil­fe, die außer­halb unse­rer eige­nen Nati­on, unse­res eige­nen Vol­kes liegt. In uns selbst allein liegt die Zukunft des ame­ri­ka­ni­schen Vol­kes. Wenn wir selbst die­ses ame­ri­ka­ni­sche Volk empor­füh­ren durch eige­ne Arbeit, durch eige­nen Fleiß, eige­ne Ent­schlos­sen­heit, eige­nen Trotz, eige­ne Beharr­lich­keit, dann wer­den wir wie­der empor­stei­gen – genau wie die Väter einst auch Ame­ri­ka nicht geschenkt erhiel­ten, son­dern selbst sich schaf­fen mussten.‹
In die­sem letz­ten Zitat sind ledig­lich ›deutsch‹ und ›Deutsch­land‹ durch ›ame­ri­ka­nisch‹ und ›Ame­ri­ka‹ aus­ge­tauscht. Es han­delt sich ansons­ten um einen Aus­schnitt aus Hit­lers berühm­ter Rede nach der ›Macht­er­grei­fung‹. Damit soll Trump, um nicht miss­ver­stan­den zu wer­den, kei­nes­wegs mit Hit­ler gleich­ge­setzt oder alar­mis­tisch dämo­ni­siert wer­den, schon weil sein tat­säch­li­ches Wir­ken als Prä­si­dent noch gar nicht beur­teilt wer­den kann. Es ist aller­dings auf­fäl­lig, wie die Topoi vom Ab- und Auf­stieg einer Nati­on und von der unge­heu­ren Tat­kraft eines Vol­kes, der anti­in­sti­tu­tio­nel­le Furor, die insze­nier­te Ver­schmel­zung des ›auf­rich­ti­gen‹ Macht­ha­bers mit sei­nen Unter­ge­be­nen, das mis­sio­na­ri­sche Sen­dungs­be­wusst­sein fast in eins fal­len. Vie­len wird eher unbe­wusst und mit dif­fu­sem Ent­set­zen auf­ge­fal­len sein, dass der neue ame­ri­ka­ni­sche Prä­si­dent in der Absicht, die Mas­sen zu begeis­tern, sich im rhe­to­ri­schen Arse­nal des Faschis­mus bedient hat.«[5]

Auf den letz­ten Aspekt wer­de ich an die­ser Stel­le nicht wei­ter ein­ge­hen[6], wir sehen an den ange­führ­ten Bei­spie­len, das mit Spra­che nicht nur infor­miert und auf­ge­klärt, son­dern eben auch agi­tiert und mani­pu­liert wer­den kann.