Da haben wir die ver­trau­te Tri­as, die in Cice­ros Text als »pro­ba­re«, delec­ta­re (auch »con­ci­lia­re«) und »move­re« (oder »per­mo­ve­re«) auf­taucht. Anders als auch ich sel­ber frü­her mein­te, kommt aber der Unter­schied zu Aris­to­te­les in ande­ren Kon­tex­ten stär­ker her­aus als es zunächst den Anschein hat. Die Per­son des Red­ners tritt für Cice­ro in ungleich stär­ke­rem Maße als aus­ge­zeich­ne­te Instanz in den drei, die Rede defi­nie­ren­den Hin­sich­ten Red­ner, Rede­ge­gen­stand und Hörer her­vor. Unmiß­ver­ständ­lich ver­kün­det Cras­sus, dem der Autor meist die eige­nen Ansich­ten über­ant­wor­tet: »In mei­nen Augen gibt es ja auch nichts Herr­li­che­res, als wenn man es ver­mag, die Men­schen durch die Rede in sei­nen Bann zu schla­gen, ihre Nei­gung zu gewin­nen, sie zu ver­lei­ten, wozu man will, und abzu­brin­gen, wovon man will.« Da sind wir bei­nah bei dem Gegen­satz zum aris­to­te­li­schen Rhe­tor. Im »Ora­tor« wird Cice­ro noch deut­li­cher, wenn er nach dem schlich­ten und dem anmu­ti­gen Red­ner dem drit­ten Typus die Kro­ne der Bered­sam­keit zuspricht. »Der Red­ner der drit­ten Gat­tung ist jener erha­be­ne, rei­che, ein­dring­li­che, schmuck­vol­le, wel­cher in der Tat die höchs­te Kraft besitzt. Das ist der Red­ner, des­sen Schön­heit und Fül­le die Völ­ker anstaunt, in des­sen Bewun­de­rung sie der Bered­sam­keit den größ­ten Ein­fluß in den Staa­ten ein­räum­ten … Die­se Bered­sam­keit ver­steht es, sich der Zuhö­rer zu bemäch­ti­gen … : sie bricht sich bald mit Gewalt Bahn, bald schleicht sie sich unbe­merkt in das Herz, pflanzt neue Ansich­ten ein, reißt ein­ge­wur­zel­te aus.«

Das klingt in unse­ren Ohren fast wie eine Pro­pa­gan­da- und Wer­ber­he­to­rik avant la lett­re oder zumin­dest nach einer Lob­re­de auf den Dem­ago­gen. Cice­ro der­art wie Theo­dor Momm­sen zu denun­zie­ren liegt mir aber fern und wür­de ihm nicht gerecht, zumal er der damit ein­her­ge­hen­den Gefahr auf eige­ne Wei­se ent­geg­nen soll­te. Wir müs­sen uns bewusst sein, dass der Autor der in Euro­pa ein­fluß­reichs­ten Rhe­to­rik in der römi­schen Adels­re­pu­blik ande­re Bedin­gun­gen vor­fand und auf ande­ren his­to­ri­schen Erfah­run­gen auf­bau­te, als sein grie­chi­sches Vor­bild in den Stadt­staa­ten. Hegel hat den »Räu­ber­an­fang« des römi­schen Staa­tes, sei­ne auf Über­wäl­ti­gung der Nach­barn, auf Gewalt und Krieg beru­hen­de Stif­tung dafür ver­ant­wort­lich gemacht, dass »nicht ein sitt­li­cher, libe­ra­ler Zusam­men­hang (wie in Athen), son­dern ein gezwun­ge­ner Zustand der Sub­or­di­na­ti­on« den sozia­len Zusam­men­halt der Men­schen zu garan­tie­ren hat­te – weit­ab von Díke und Aidós. So kommt es auch, dass das Ethos des Red­ners weit­ge­hend mit sei­ner Auto­ri­tät zusam­men­fällt, die auch in Rom anders zustan­de kam als in Athen. Das Auto­ri­täts­prin­zip, die »auc­to­ri­tas«, so wird man sagen dür­fen, ist im römi­schen Ver­ständ­nis kei­ne Eigen­schaft, die jeder so ohne wei­te­res erwer­ben konn­te, sie ver­dankt sich, wie Macht­mit­tel oder Adel, den Umstän­den und dem Zufall, ihre Gel­tung geht bis in die ältes­ten Zei­ten römi­scher Geschich­te zurück. Sie teilt die Gesell­schaft in jene, die über Auto­ri­tät und Macht ver­fü­gen, und die­se, die sie aner­ken­nen, sich unter­ord­nen. Die Per­son (oder Insti­tu­ti­on wie spä­ter der Senat), der auc­to­ri­tas zuge­bil­ligt oder zuge­schrie­ben wird, ist maß­ge­bend für fami­liä­re, für beruf­li­che, für poli­ti­sche Fra­gen. Der eigent­li­che Grund sol­cher Auto­ri­tät lag aber nicht in der Ver­fü­gung über die Sache, son­dern die­se erhielt Ver­bind­lich­keit erst aus der durch kei­nen Ver­nunft­grund, kei­ne über­ra­gen­de Leis­tung legi­ti­mier­ten auc­to­ri­tas. Zuletzt basie­ren sol­che Ansich­ten gewiss noch auf ursprüng­li­cher Unter­wer­fung, doch trans­for­mie­ren sie sie in ein von Frei­wil­lig­keit gepräg­tes Ver­trau­en, das Cice­ro nun wie­der­um zur Natur­an­la­ge machen möch­te: »Wenn aber ein frei­es Volk wählt, wem es sich anver­traut, und, wenn es nur bewahrt blei­ben will, gera­de die Bes­ten wählt, ist sicher das Heil des Staats in der Ein­sicht der Bes­ten gegrün­det, zumal die Natur es so ein­ge­rich­tet hat, dass nicht nur die an Tüch­tig­keit und Ener­gie Höchs­ten die Schwä­che­ren füh­ren, son­dern dass die­se auch den Höchs­ten gehor­chen wollen.«

Man kann es nicht deut­li­cher sagen. Der ideo­lo­gi­sche Grund von Cice­ros Auf­fas­sung ist das Stän­de­prin­zip der Adels­ge­sell­schaft, in dem rhe­to­risch nur reüs­siert, der zu den Spit­zen der Gesell­schaft gehört oder – und das ist nun der Beweg­grund für die Aus­zeich­nung der Macht der Affek­te – der als »homo novus« wie Cice­ro die alt­über­lie­fer­ten Stan­des­schran­ken durch­bre­chen will und dazu die Gewalt der Lei­den­schaf­ten mobilisiert.

Die Gefah­ren im Gefol­ge sol­cher Feld­zü­ge hat Cice­ro nicht über­se­hen, er wur­de schließ­lich, wie man weiß, eben­so ihr Opfer wie die Repu­blik, die er so uner­schro­cken ver­tei­dig­te. Fehlt näm­lich dem Red­ner mora­li­sche Inte­gri­tät und huma­ne Bil­dung, wird die Rhe­to­rik, wie er mit deut­li­chem Wort warn­te, »zur Waf­fe in der Hand eines Rasenden«.


Datenschutz-Übersicht
Sprache für die Form * Forum für Design und Rhetorik

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.

Unbedingt notwendige Cookies

Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.