1 Ethos, Pathos, Logos

Die Rhe­to­rik hat in der Anti­ke Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mo­del­le ent­wi­ckelt[1] und seit­her aus­ge­baut, die erklä­ren, wie bei einem Publi­kum Per­sua­si­on (Über­zeu­gung) her­bei­ge­führt wer­den kann. Rhe­to­rik kam in der Geschich­te mit der Demo­kra­tie auf, in Demo­kra­tien muss um Pro­blem­lö­sun­gen und um Mehr­hei­ten in offe­nen Dis­kur­sen gerun­gen wer­den. Rhe­to­rik wird ein­ge­setzt, um Per­sua­si­on zu erzie­len, die auf Cha­rak­ter, Ver­trau­ens- und Glaub­wür­dig­keit eines Red­ners (Ethos), auf Erre­gung der Affek­te (Pathos) eines Publi­kums und auf Plau­si­bi­li­tät der Argu­men­te (Logos) gründet.

In auto­ri­tä­ren Sys­te­men wird Rhe­to­rik in die­ser Wei­se nicht benö­tigt, dort ent­schei­den Herr­scher nach Gus­to, sie müs­sen nicht um die bes­se­ren Lösun­gen und Argu­men­te rin­gen und nie­man­den von ihren Vor­schlä­gen über­zeu­gen, sie sind die Auto­ri­tät, sie machen ein »Ange­bot«, das nicht abge­lehnt wer­den kann, jeden­falls nicht schadlos.

Ganz anders ist das in demo­kra­ti­schen Sys­te­men, in ihnen müs­sen Mehr­hei­ten für Vor­schlä­ge gewon­nen wer­den, die an Ent­schei­dungs­pro­zes­sen betei­lig­ten Grup­pen (Wäh­ler, Inter­es­sen­grup­pen und -ver­bän­de, Par­tei­freun­de, Abge­ord­ne­te usw.) müs­sen von sol­chen Vor­schlä­gen über­zeugt wer­den. Um die gewünsch­te Per­sua­si­on und die gewünsch­ten Wir­kun­gen wie bestimm­te Hand­lun­gen, Ver­hal­tens- und Ein­stel­lungs­än­de­run­gen bei einem Publi­kum her­bei­zu­füh­ren, ste­hen eine Viel­zahl von Mög­lich­kei­ten offen. Für die Fra­ge nach dem Ver­hält­nis von Rhe­to­rik und Auto­ri­tät soll aus­rei­chen, den oben skiz­zier­ten Teil des rhe­to­ri­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mo­dells für ein Ver­ständ­nis von Auto­ri­tät zu nut­zen. His­to­risch ist der Begriff »Auto­ri­tät« (lat. Auc­to­ri­tas) in der Rhe­to­rik in vie­len Kon­tex­ten von Bedeu­tung[2], für die­sen Essay wer­den Aspek­te von »Auto­ri­tät« hin­sicht­lich der Fra­ge nach der Plau­si­bi­li­tät von Argu­men­ten (Logos) und hin­sicht­lich der Fra­ge nach der Glaub­wür­dig­keit (Ethos) eines Red­ners auf­ge­nom­men. Die­se bereits in der Anti­ke dis­ku­tier­ten Aspek­te sind nach wie vor fun­da­men­tal, sie dif­fe­ren­zie­ren sich aller­dings in von Mas­sen­me­di­en gepräg­ten Gesell­schaf­ten viel­fäl­tig aus.⁠[3] In die­sen Gesell­schaf­ten fin­den poli­ti­sche Dis­kur­se eben nicht mehr pri­mär auf der Ago­ra oder allein in Par­la­men­ten statt, son­dern wer­den in den Medi­en ent­wi­ckelt, gestal­tet und gar vor­ent­schie­den; die Eigen­ge­set­ze der Medi­en wie­der­um wir­ken rück auf For­men und Inhal­te der Dis­kur­se. Die Medi­en schaf­fen so neue Auto­ri­tä­ten und eben auch neue Kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­ge und Ein­fluss­mög­lich­kei­ten für Auto­ri­tä­ten. Die­se Kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­ge und Ein­fluss­mög­lich­kei­ten sind fort­wäh­ren­dem Wan­deln unter­wor­fen. Ein Bei­spiel: Soge­nann­te Fern­seh­de­bat­ten wur­den in Deutsch­land erst­mals in den 1950er Jah­ren aus­ge­strahlt – der »Inter­na­tio­na­le Früh­schop­pen« mit Wer­ner Höfer mach­te den Anfang –, »Polit-Talks« gehö­ren heu­te zum fes­ten Pro­gramm­sche­ma vie­ler Sen­der. Durch häu­fi­ges Auf­tre­ten in sol­chen Sen­dun­gen kön­nen Poli­ti­ker Auto­ri­tät für The­men aus ihren poli­ti­schen Fach­ge­bie­ten erwer­ben. Ein zumeist jün­ge­res Publi­kum ori­en­tiert sich eher an Auto­ri­tä­ten wie »Blog­ger« oder »Influen­cer«, die sich durch publi­zis­ti­sche Akti­vi­tä­ten im Inter­net einen Ruf erwor­ben haben. Ethos und Auto­ri­tät kön­nen also in einer durch Mas­sen­me­di­en gepräg­ten Gesell­schaft über ver­schie­de­ne Medi­en erwor­ben (und auch ver­spielt) werden.

2 Dau­er­haf­te Persuasion

Auto­ri­tä­ten wer­den in poli­ti­schen Argu­men­ta­tio­nen und Reden als Gewährs­leu­te ange­führt, dar­auf wei­sen bereits anti­ke Rhe­to­rik-Wer­ke wie die von Aris­to­te­les, Cice­ro und Quin­ti­li­an hin. Kann sich ein Red­ner und Poli­ti­ker dem­zu­fol­ge auf Dich­ter oder Phi­lo­so­phen beru­fen und sei­ne kon­kre­ten Vor­schlä­ge an deren all­ge­mein aner­kann­te Ideen anbin­den, gewin­nen sei­ne Vor­schlä­ge an Glaub­wür­dig­keit (und damit auch sei­ne Per­son) oder sei­ne Vor­schlä­ge wer­den erst gar nicht mehr in Zwei­fel gezogen.

In der rhe­to­ri­schen Argu­men­ta­ti­ons­theo­rie des 20. Jahr­hun­derts, zum Bei­spiel in der »neu­en Rhe­to­rik« von Cha­im Perel­man und Lucie Olb­rechts-Tyte­ca[4], wird nach einer Mög­lich­keit ratio­na­ler Dis­kur­se über Fra­gen gesucht, die sich logi­schen Beweis­ver­fah­ren ent­zie­hen, es wird also nach dis­kur­si­ven Ver­fah­ren prak­ti­scher Ver­nunft gefragt, die in offe­nen Gesell­schaf­ten poli­ti­sche Vor­schlä­ge plau­si­bel erschei­nen las­sen und mehr­heits­fä­hig machen. Dabei haben Auto­ri­täts­ar­gu­men­te nach wie vor Gewicht; sie bemü­hen nun nicht mehr allein Dich­ter oder Phi­lo­so­phen, son­dern auch Wis­sen­schaft, Exper­ti­se oder Empi­rie. Zudem kann Auto­ri­tät ent­per­so­na­li­siert wer­den und in ratio­na­len Ver­fah­ren der Kri­tik und in wis­sen­schaft­li­chen Metho­den gefun­den werden.


Datenschutz-Übersicht
Sprache für die Form * Forum für Design und Rhetorik

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.

Unbedingt notwendige Cookies

Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.

Wenn du diesen Cookie deaktivierst, können wir die Einstellungen nicht speichern. Dies bedeutet, dass du jedes Mal, wenn du diese Website besuchst, die Cookies erneut aktivieren oder deaktivieren musst.