In ihm wird u. a. unse­re Hal­tung zu den Sti­mu­li ver­ar­bei­tet. Anders als der Sti­mu­lus­wert, der in den Sin­nes­re­prä­sen­ta­tio­nen immer gleich bleibt, ist der affek­ti­ve oder hedo­ni­sche Wert des Sti­mu­lus model­lier­bar[8]. Beim Anblick eines Kuchens wäre die Reak­ti­on des Gehirns in Bezug auf sei­nen Geschmack in der gust­a­to­ri­schen Insu­la sta­tisch (Sti­mu­lus­wert). Sein affek­ti­ver Wert wäre im orbi­t­o­fron­ta­len Cor­tex ver­än­der­lich, z. B. je nach dem wie hung­rig, oder gesät­tigt das Indi­vi­du­um gera­de ist.[9] Der orbi­t­o­fron­ta­le Cor­tex ver­ar­bei­tet nicht nur kon­kre­te Inhal­te, wie die Rele­vanz von Kuchen, im hin­te­ren Teil, son­dern zum vor­de­ren Teil hin zuneh­mend abs­trak­ter wer­den­de Inhal­te, wie finan­zi­el­le Fra­gen oder poli­ti­sche und reli­giö­se Ein­stel­lun­gen. Wenn es einen Weg gäbe, den affek­ti­ven Wert im Hin­blick auf ein Argu­ment zu ver­än­dern, bekä­me man eine Idee davon, ob und wenn ja, wel­che Rol­le Vor­stel­lungs­bil­der bei die­sem Pro­zess spielen.

Anto­nio Dama­si­os Hypo­the­se von den soma­ti­schen Mar­kern lie­fert dafür eine plau­si­ble Erklä­rung. Die soma­ti­schen Mar­ker hel­fen dabei, unter Ein­be­zie­hung von Erfah­rungs­wer­ten, sich schnel­ler in der Umwelt zurecht­zu­fin­den. Wie bereits aus­ge­führt, wer­den Emo­tio­nen kör­per­lich erlebt, was deren Bewusst­wer­dung ermög­licht und damit das Ein­be­zie­hen von kogni­ti­ver Aus­wer­tung zulässt. Die­sem Sach­ver­halt ver­dankt der Begriff »soma­tisch« sei­nen Ursprung, denn »soma« ist das grie­chi­sche Wort für »Kör­per«. Ein soma­ti­scher Mar­ker ist ein Vor­stel­lungs­bild, das mit einer Kör­per­emp­fin­dung mar­kiert wur­de.[10] Es ist sehr schwer, gegen einen soma­tisch mar­kier­ten Sach­ver­halt, der mit einem Vor­stel­lungs­bild reprä­sen­tiert wird, rein logisch anzu­kom­men. Ima­gi­nier­te Sze­na­ri­en bei­spiels­wei­se eines Flug­zeug­ab­stur­zes, spe­zi­ell Bil­der, die einen selbst betref­fen, kön­nen das Flie­gen »gefühlt« unge­mein gefähr­lich erschei­nen las­sen, unge­ach­tet des schlag­kräf­ti­gen Argu­ments, dass sta­tis­tisch ein Absturz sehr unwahr­schein­lich ist.[11]

Der Schau­spie­ler, der die Sta­nis­law­ski-Strasberg-Tech­nik anwen­det, erlebt durch eige­ne Vor­stel­lungs­bil­der, an die Emo­tio­nen geknüpft sind, die­se nach. Er steu­ert und dosiert bewusst sei­ne emo­tio­na­len Impul­se und schafft dadurch eine glaub­wür­di­ge und berüh­ren­de Dar­bie­tung, die dem Zuschau­er ermög­licht Empa­thie zu emp­fin­den. Was der Schau­spie­ler nicht macht, dies ist eine Haupt­an­wei­sung der Sta­nis­law­ski-Strasberg-Tech­nik: er spielt sei­ne Gefüh­le nicht. Neu­ro­phy­sio­lo­gisch lässt sich erklä­ren, war­um das nicht funk­tio­niert. Eine Viel­zahl von sub­ti­len Mus­kel­par­tien las­sen sich nicht bewusst ansteu­ern und wer­den nur durch ech­te Gefühls­re­gun­gen akti­viert, wie bei­spiels­wei­se die Augen­par­tie beim Lachen.[12]

Aus­lö­sen von Vor­stel­lungs­bil­dern durch Affekt­tech­ni­ken in der visu­el­len Kommunikation

Doch das scheint nicht der allei­ni­ge Grund für ein Aus­blei­ben der empath-ischen Reak­ti­on zu sein. Die Bil­der Andrea Man­te­gnas (1431—1506), einem Maler der ita­lie­ni­schen Früh­re­nais­sance, bie­ten in der Dar­stel­lung von Emo­tio­nen dafür ein anschau­li­ches Bei­spiel. Die Men­schen wer­den am Schei­tel­punkt ihres phy­sio­gno­mi­schen Aus­drucks einer Emo­ti­on dar­ge­stellt. Trotz der genau­en Natur­stu­di­en lösen die frat­zen­haft ver­zerr­ten Gesich­ter beim Betrach­ter eine eher gerin­ge empa­thi­sche Reak­ti­on aus.

Andrea Mantegna, »Ecce homo« (Ausschnitt), 1502

Andrea Man­te­gna, »Ecce homo« (Aus­schnitt), 1502