Frage und Antwort

»Doch was macht man dann mit der freien Zeit?«

Theo Wehner blickt auf die Zukunft der Arbeit

Von Robin Auer


Seit 1989 beschäf­tigt sich Prof. Dr. Theo Weh­ner in sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Arbeit mit psy­cho­lo­gi­scher Feh­ler­for­schung, dem Ver­hält­nis von Erfah­rung und Wis­sen, koope­ra­ti­vem Han­del und psy­cho­lo­gi­scher Sicher­heits­for­schung. In Weh­ners For­schung ist sowohl quan­ti­ta­ti­ves als auch qua­li­ta­ti­ves empi­ri­sches Vor­ge­hen zen­tral. Da er Arbeit­ge­ber und Arbeit­neh­mer in den Blick nimmt, sind sein For­schungs­er­geb­nis­se rele­vant für die all­täg­li­che, betrieb­li­che Lebens­welt – auch in der Kreativwirtschaft.

Gegen­über ver­gan­ge­nen Ver­hält­nis­sen wer­de unse­re täg­li­che Arbeits­zeit immer kür­zer, gleich­zei­tig fin­de eine inhalt­li­che Ver­dich­tung statt. Wir ent­wi­ckeln uns, so Weh­ner, immer mehr von einer Arbeits­ge­sell­schaft hin zu einer Tätig­keits­ge­sell­schaft und begin­nen mehr und mehr unser eige­nes Tun zu hin­ter­fra­gen. Wie kor­re­spon­diert die all­täg­li­che Arbeit mit »den eige­nen Wer­ten«? Die­ser Fra­ge stellt sich Theo Weh­ner im Inter­view und kommt zu der Ansicht, dass Arbeit nicht »Malo­che« sein muss, son­dern zu einem Sinn erfül­len­den »Tätig-Sein« wer­den kann.

Wie wer­den wir in Zukunft arbeiten?

Die Zukunft ist unbe­kannt. Danach muss man einen Punkt machen. Wir sind nicht fähig, in die Zukunft zu schau­en. Niklas Luh­mann hat einen schö­nen Text geschrie­ben über den Nut­zen der unbe­kann­ten Zukunft, und Dirk Bae­cker inter­pre­tiert den Sach­ver­halt beson­ders anschau­lich. War­um sind wir evo­lu­tio­när nicht aus­ge­stat­tet, die Zukunft zu sehen? Dass wir die Zukunft nicht wahr­neh­men kön­nen, ist eine Schutz­funk­ti­on. In der jüdi­schen Mys­tik sagt man, die Ver­gan­gen­heit liegt vor und die Zukunft hin­ter einem, denn wir kön­nen sie ja nicht sehen. Wenn ich also über die Zukunft nach­den­ke, die hin­ter mir liegt, brin­ge ich die Ver­gan­gen­heit in die Gegen­wart. Gün­ter Grass mach­te eine schö­ne Wort­schöp­fung, er sprach von der »Ver­ge­gen­kunft«. Er ver­gleich­zei­tig­te also Ver­gan­gen­heit, Gegen­wart und Zukunft. Man kann also zurück in die Zukunft schau­en, in dem wir das, was wir hin­ter uns haben, vor uns legen und dann zum Bei­spiel fra­gen: Wie ändern sich unse­re Arbeitsplätze?

Die ers­te Ant­wort ist ein­fach: Arbeit und Arbeits­plät­ze haben sich immer ver­än­dert und wer­den auch in Zukunft nicht kon­stant blei­ben. Doch kei­ne Ver­än­de­rung bestand jemals nur aus qua­li­ta­ti­ven Sprün­gen, son­dern eher aus quan­ti­ta­ti­ven Zuwäch­sen: Schritt für Schritt. Maschi­nen wur­den nicht von Göt­tern erschaf­fen und waren plötz­lich da. Der Drang nach Auto­ma­ti­sie­rung begann bereits in archai­schen Kul­tu­ren und damit deut­lich frü­her, als die Visio­nen der Jetzt­zeit dies zu sug­ge­rie­ren ver­su­chen. Die Ver­gan­gen­heit hat gezeigt, dass Ver­än­de­run­gen eher inkre­men­tell anstatt radi­kal, dis­rup­tiv erfol­gen. In den 90er Jah­ren ent­stan­den Fan­ta­sien von der men­schen­lee­ren Fabrik. Tech­nisch wäre es mach­bar gewe­sen, war­um hat man es dann nicht rea­li­siert? Das liegt dar­an, dass eine men­schen­lee­re Fabrik ein ganz ande­res Pro­blem zu lösen hät­te. Wel­cher Bezug besteht dann noch zum Pro­dukt, zu einem Auto­mo­bil etwa? Schnell wur­de klar, es gibt Tei­le in der Mon­ta­ge, die wird man nie auto­ma­ti­sie­ren kön­nen, und es gibt ande­re, die müs­sen schleu­nigst auto­ma­ti­siert werden.

Was sich gra­du­ell ändern wird, ist die Arbeits­zeit. Wir wer­den weni­ger Arbei­ten und das ganz deut­lich. Wir könn­ten bereits heu­te weni­ger arbei­ten, doch was macht man dann mit der frei­en Zeit? Die Ver­spre­chen der Frei­zeit­in­dus­trie haben sich nicht bewahr­hei­tet. Heu­te ist klar, dass die Stres­so­ren in der Frei­zeit min­des­tens so gesund­heits­schäd­lich sind wie die am Arbeits­platz. Refu­gi­en zu schaf­fen, reicht also nicht aus. Einen qua­li­ta­ti­ven Sprung sehe ich in der Ent­wick­lung von einer Arbeits­ge­sell­schaft hin zu einer Tätig­keits­ge­sell­schaft. Die Erwerbs­tä­tig­keit ist nur eine Form des Tätig­seins, es gibt aber dut­zend wei­te­re. Die Arbeits­tä­tig­keit ist für uns die zen­tra­le, die exis­tenz­si­chern­de Tätig­keit. Dabei sind Ein­kom­men und Arbeit viel­leicht zu eng mit­ein­an­der ver­bun­den. Die­se Zwangs­kopp­lung wird sich immer stär­ker lockern, es wird sich ein Stück weit ent­flech­ten, so dass wir ler­nen, wie wir auch über ande­re For­men ein Aus­kom­men gene­rie­ren kön­nen. Viel­leicht wird es etwas wie ein Grund­ein­kom­men, unter Umstän­den gar ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men geben, denn dann kom­men Men­schen in die Situa­ti­on, dass sie intrin­sisch moti­vier­ten Beschäf­ti­gun­gen nach­ge­hen und dabei Gestal­tungs­au­to­no­mie haben. Der Anspruch, eige­ne, sub­jek­ti­ve Ideen in den Arbeits­pro­zess ein­flie­ßen zu las­sen, wird zuneh­men; das zeich­net sich bereits heu­te ab und wird unter dem Begriff der Sub­jek­ti­vie­rung von Arbeit zusammengefasst.


Ausgabe Nr. 7, Herbst 2015

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