Unter »Affek­ten« ver­steht Aris­to­te­les näm­lich »sol­che Regun­gen des Gemüts, durch die Men­schen sich ent­spre­chend ihrem Wech­sel hin­sicht­lich der Urtei­le unter­schei­den und denen Schmerz bzw. Lust fol­gen: wie z.B. Zorn, Mit­leid, Furcht und der­glei­chen sonst sowie deren Gegen­sät­ze.«[23] Die­ser Bestim­mung folgt ein wich­ti­ger Zusatz. Er lau­tet: »Man muß bei jedem Affekt in drei­fa­cher Hin­sicht eine Unter­schei­dung tref­fen. Ich mei­ne z. B. beim Zorn ist zu unter­schei­den, in wel­cher Ver­fas­sung sich die Zor­ni­gen befin­den, gegen­über wem man gewöhn­lich zürnt und über wel­che Din­ge. Denn wenn wir einen oder zwei von die­sen Aspek­ten hät­ten, aber nicht alle, so könn­ten wir unmög­lich Zorn erre­gen.«[24] War­um ist die­ser Zusatz wich­tig? Er ver­wan­delt die Rhe­to­rik in eine Semio­tik, die auf das Zusam­men­spiel sozia­ler und men­ta­ler Akte setzt. Dank der drei­fa­chen Unter­schei­dung zwi­schen (1) der Ver­fas­sung des Zor­ni­gen, (2) sei­nem Gegen­über, (3) dem Anlass des Zorns und (4) dem Gegen­stand, an dem er aus­ge­las­sen wird, tritt eine kom­ple­xe Sze­ne bzw. eine kom­ple­xe Fak­to­ren­ana­ly­se an die Stel­le der ein­di­men­sio­na­len Kor­re­la­ti­on von res und ver­ba. Die­se Sze­ne schließt das Sozia­le und Men­ta­le ein und impli­ziert dar­über hin­aus, dass die kom­mu­ni­ka­ti­ven und kogni­ti­ven Akte durch Affek­te eben­so nach­hal­tig modi­fi­ziert wer­den wie die Bezie­hung der betei­lig­ten Personen.

Mög­lich ist dies, weil es in die­ser Sze­ne refle­xiv zu einer nicht nur per­spek­ti­vi­schen, son­dern auch zu empha­ti­schen Mime­sis kommt[25], an der die Ima­gi­na­ti­on wesent­li­chen Anteil hat. Ego lässt sich auf alter und des­sen Blick­win­kel, aber auch auf des­sen Emp­fin­dungs­wei­se ein und umge­kehrt. Die Rol­le, die Affek­te in dem Dra­ma spie­len, das – mit Micha­el Toma­sel­lo zu reden – aus »Sze­nen gemein­sa­mer Auf­merk­sam­keit«[26] besteht, führt dazu, dass es kei­nen unmit­tel­ba­ren Effekt der Äuße­run­gen, son­dern nur eine durch Emo­tio­nen und ande­re Kogni­tio­nen ver­mit­tel­te Inter­pre­ta­ti­on der Rede gibt. Das aber bedeu­tet, dass die Ver­fah­ren der Gemüts­er­re­gung, denen sich ein Red­ner bedient, inso­fern ledig­lich Mit­tel zum Zweck sind, als es in letz­ter Instanz um die Ent­wick­lung eines Urteils geht – ent­we­der indem eine Indif­fe­renz auf­ge­ho­ben oder indem ein Gesin­nungs­wan­del her­bei­ge­führt wird. Aris­to­te­les scheint bei der Affekt­a­ti­on des Zuhö­rers durch den Red­ner somit an eine Ver­laufs­kur­ve zu den­ken, bei der die Gemüts­er­re­gung zu einer Stim­mung oder Gestimmt­heit führt, die durch den Bezug auf den Gegen­stand des Urteils zu einer Art Gesin­nung wird, so oder so zu urtei­len. Gesin­nung kann in die­sem Zusam­men­hang als die Nei­gung ver­stan­den wer­den, situa­tiv eine ganz bestimm­te Über­zeu­gung anzu­neh­men. Kon­kret meint dies im Fal­le der Gerichts­re­de: »Alle wer­den näm­lich dadurch über­re­det, daß ent­we­der die Rich­ter selbst in eine gewis­se psy­chi­sche Dis­po­si­ti­on ver­setzt wur­den oder daß sie eine gewis­se Ansicht über den Spre­chen­den haben oder dadurch, daß die Sache bewie­sen wur­de.«[27] Es ver­steht sich von selbst, dass die­se drei Mög­lich­kei­ten ein­an­der über­la­gern kön­nen, vor allem durch Affek­te, die sowohl die psy­chi­sche Dis­po­si­ti­on als auch das Image des Spre­chen­den und die Fest­stel­lung der Fak­ten beeinflussen.

Die Ver­laufs­kur­ve der Über­zeu­gung, die sich aus der aris­to­te­li­schen Affek­ten­leh­re ergibt, lässt sich nun aber unschwer auf das bereits erwähn­te Inter­pre­tan­ten-Modell bezie­hen, bei dem die emo­tio­nal-imme­dia­ten Inter­pre­tan­ten (Emp­fin­dun­gen) mit­tels der dyna­misch-ener­ge­ti­schen Inter­pre­tan­ten (Vor­stel­lungs- und Gedan­ken­rei­hen) in die Geneigt­heit ver­wan­delt wer­den, bis auf wei­te­res die­sen oder jenen logi­schen Inter­pre­tan­ten als vor­läu­fig gül­ti­ge Aus­le­gung, Beur­tei­lung oder Über­zeu­gung zu akzep­tie­ren. Sieht man die Affek­tio­nen, über die Aris­to­te­les im zwei­ten Buch der »Rhe­to­rik« spricht – die Ansta­che­lung zum Zorn und die Besänf­ti­gung, die Erre­gung von Lie­be oder Hass, Freund­schaft oder Feind­schaft, die Erwe­ckung von Furcht und die Ermu­ti­gung, die Beschä­mung, die Über­re­dung zu Gunst, Wohl­wol­len oder Mit­leid oder Unwil­le sowie Neid und Eifer­sucht – sieht man all die­se Affek­tio­nen als Fak­to­ren in einem semio­ti­schen Pro­zess, muss man nur noch zuge­ben, dass die Impul­se einer­seits medi­en­äs­the­tisch zu dif­fe­ren­zie­ren sind, ande­rer­seits jedoch in ihrer Dif­fe­ren­tia­li­tät zusam­men­wir­ken kön­nen, wie dies beim Ton­film der Fall ist, der münd­li­che und schrift­li­che Äuße­run­gen an beweg­te Bil­der und Geräu­sche, an mimi­sche, ges­ti­sche und pro­xe­mi­sche Zei­chen koppelt.


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