Man kann die­se Maxi­me pro­duk­ti­ons­äs­the­tisch als Auf­for­de­rung an den Künst­ler ver­ste­hen, sich in den see­li­schen Zustand zu ver­set­zen, den er glaub­wür­dig dar­stel­len will, und von die­ser Aus­le­gung aus bis zu Dide­rots Para­dox über den Schau­spie­ler oder gar bis zum Method-Acting gelan­gen. Mehr noch: man kann den »Gefühlsakkord«(Béla Balázs) direkt an Horaz Maxi­me bin­den, die auf das Ant­litz des Men­schen als Spie­gel­bild der See­le abstellt. Man kann die Maxi­me rezep­ti­ons­äs­the­tisch wen­den und von dort über Les­sings Kon­zept des refle­xi­ven Mit­leids[37] und die Idee der Ein­füh­lung bei Theo­dor Lipps[38] oder der Anste­ckung bei Max Sche­ler[39] bis zu den rezen­ten Theo­rien über Empa­thie und Empa­thie­blo­cka­de bei Fritz Breit­haupt[40] und ande­ren gelangen.

Ich möch­te das Prin­zip noch ein­mal anders akzen­tu­ie­ren. Denn in gewis­ser Wei­se fällt Horaz in sei­ner »Ars Poe­ti­ca« hin­ter die Affek­ten­leh­re der aris­to­te­li­schen »Rhe­to­rik« zurück. Wäh­rend der römi­sche Dich­ter in sei­nem »Brief an die Piso­nen« eine weit­ge­hend unpro­ble­ma­ti­sche Kor­re­spon­denz von (Gesichts-)Ausdruck und Gemüts­ein­druck pos­tu­liert, hat der grie­chi­sche Phi­lo­soph in sei­ner Rhe­to­rik (und Poe­tik) bereits eine Tri­an­gu­la­ti­on vor Augen, der zufol­ge zwi­schen dem Urteil, auf das die Dar­stel­lung abzielt, und der Kunst, die der Red­ner auf­bie­tet, ein Affekt ver­mit­telt, der sich dem stra­te­gi­schen Kal­kül bis zu einem gewis­sen Grad ent­zieht. Denn obwohl es der Affekt sein soll, der den Hörer dazu dis­po­niert, das Urteil zu tref­fen, das der Red­ner inten­diert, kann der jeweils beson­de­re Affekt nur kraft einer Wech­sel­wir­kung mit der all­ge­mei­nen Befind­lich­keit des Zuhö­rers die­sen Effekt erzie­len. Aris­to­te­les räumt denn auch ein: »(…) ein und das­sel­be erscheint nicht in glei­cher Wei­se den Lie­ben­den und Has­sen­den bzw. den Zor­ni­gen und denen in sanf­ter Gemüts­la­ge, son­dern die Ansich­ten sind ent­we­der ganz und gar oder hin­sicht­lich ihrer Gewich­tig­keit ver­schie­den«[41]. Der Phi­lo­soph spricht hier nicht über die Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten oder die Gemüts­zu­stän­de des Red­ners, die die­sen glaub­wür­dig oder unglaub­wür­dig erschei­nen las­sen, son­dern über die emo­tio­na­le Modi­fi­ka­ti­on der Wahr­neh­mung, der Vor­stel­lungs­bil­dung und der Urteils­fin­dung, die dem Zuhö­rer obliegt.

Eben die­se Modi­fi­ka­ti­on kann nun aber das Ver­fah­ren sein, das die Zuschau­er an einer Hand­lung, an einer Figu­ren­ent­wick­lung oder einem ande­ren Vor­gang fes­selt, und daher habe ich für mei­ne kur­ze Exem­pli­fi­ka­ti­on der orek­ti­schen Film­ana­ly­se eine Sequenz gewählt, bei der die Modi­fi­ka­ti­on der Affek­ti­on the­ma­tisch wird. Sti­mu­liert wird in die­ser Sequenz zunächst ein spe­zi­fi­sches, von Lan­ge­wei­le durch­setz­tes Unbe­ha­gen. Die­se hybri­de Emp­fin­dung wird dann durch einen har­ten Schnitt mit einer völ­lig anders gestimm­ten Situa­ti­on kon­fron­tiert, wobei es dem Zuschau­er über­las­sen bleibt, sich die Modi­fi­ka­ti­on vor­zu­stel­len, die zwi­schen der ers­ten und der zwei­ten Sze­ne statt­ge­fun­den haben mag. Bes­ser gesagt: er muss einen rhe­to­ri­schen Schluss bil­den, bei dem das Ante­ce­dens gespürt, das Resul­tat gezeigt und das Mit­tel­glied aus­ge­spart wird. Der Zuschau­er soll die Leer­stel­le über­brü­cken, die der Regis­seur gesetzt hat, was nur geht, wenn er sich dem dar­ge­stell­ten Gesche­hen gegen­über empha­tisch verhält.


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