Als Gestalter bist du als Erstes Beobachter, ein Anwalt der Gesellschaft. In Krisenzeiten zumal. Das Sparsame sieht über Reklame hinweg. Längst hat sie sich notwendig zur Public Relations gewandelt. Wer das wichtigste Buch des großen Hans Domizlaff und dessen Titel nicht kennt, dem sei es an dieser Stelle nochmals ans Herz gelegt: »Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens.«
Der permanent lernende, der zwingend weitsichtige Gestalter, er kennt auch das Ziel seiner Vermittlungstechnik und geht damit weit und tief über alles rein Formale hinaus: “A brand is a relationship.” Darum ist deine Arbeit im Markt nichts anderes als eine Bewährung auf Zeit. Du sitzt im Ausguck und bist Lotse zugleich. Boje für Boje, hoch aufmerksam. Ich werde nicht müde zu sagen, wie gut das ist, wenn du als ein Gestalter in Sekunden alles erfasst, alles erkennst – den Vergleich der Qualitäten, von denen du ansonsten rein gar nichts verstehst. Hier, eine Anekdote nur, nichts als ein kleiner, unschuldiger Vergleich. Beobachtung ist unser Handwerkszeug:
Eines Tages, auf dem Flughafen Tokios, Narita, suche ich die sogenannte Herrentoilette. Schilder, sie führen mich. Sie sind selbstverständlich von Designern wie dir gemacht. Figürchen, links rechts, weiß auf blau, ganz wie bei uns, nur eines fällt mir irgendwie auf. Anders als das Männchen bei uns auf dem Schilde steht, die Beine geschlossen, steht dieser Typ, breitbeinig, also, die Beine gespreizt. Im Unterschied zu der Dame daneben, sagen wir’s deutlich: Er pinkelt. Ich bin sogleich ganz einverstanden und amüsiert. Auf meinem Rückweg seh’ ich mir den Kerl noch mal an. Und, ich war mir doch ziemlich gewiss, dass er gelächelt hat. Wenn es daraus tatsächlich so etwas wie eine Lehre geben sollte, dann ist es die von der immer hellwachen Aufmerksamkeit.
Was dies betrifft, so hat sich die Rolle, sagen wir, die Aufgabe des Gestalters durchaus nicht gewandelt. Bis die Maschine ihn allerdings so gut wie entmündigt hat. So wird er wie alle. Ein Abhängiger der geläufigen Tastatur. Kein Lang Lang, vielmehr ein Kopist. Alles wird gut. Perfekt. Und, eben gleich. So what. Helvetica, 9 Punkt, linksbündig, Flattersatz. Alles puristische Gleichmacherei. Noch Fragen, mein guter Gestalterfreund? Nein, denn du weißt es ja.
Und, du weißt eben auch, dass Qualität sich allein durch vergleichende Anschauung definiert . So solltest du sie ja wohl alle kennen, all die großen Gestalterfreunde der vielfältigsten Art, den Milton Glaser, der im Push Pin Studio in den Sechzigern »I ♥ New York« entwickelt hat, eine Sprachform, von Tausenden nachgemacht, das war breit und Volksmund und Volksbild zugleich und für jedermann, Milton, Großillustrator von Welt, ein Indianerkopf auf dem Titel des Life-Magazins, dazu Seymour Chwast, der Großtypograph Herb Lubalin, von Avedon hast du gehört und von Irving Penn, von Rand, der für den genialischen Jobs NeXT gestaltet hat, alles weitreichend groß, wie Sokolsky oder eben auch Otto Storch für das Editorial. Du kennst ja doch hoffentlich Vanity Fair, das bestinformierte, bestschreibende, bestfotografierende Gesellschaftsmagazin aller Welt, in der eleganten Goudy gesetzt. Warum, lieber Freund, zähl’ ich’s dir auf, weil du die Anzeige »On the rocks« kennen musst, die von Henry Wolf, nämlich für Alka Seltzer.
Und, ja, eine solche Liste ist endlos und sie schreibt in ihrer eigenen Art die Geschichte der großen Gestalter, von Bill Bernbach, I. M. Pei bis Libeskind, der einen halb verbrannten Wildbirnenbaum im Schutt des zersprengten World Trade Center gefunden hat, ihn pflegen ließ und am Ende dort wieder aufstellte, wo die exakte Mitte der Türme war – der Gestalter in dir umfasst eine solche Tat, das große Gefühl, wie es ein großer Gärtner hat, und, verzeih’ mir das Sentiment, bist du denn nicht einer davon? He? Als Designer gesellschaftlich wichtig, ist dir die Bedeutung der Frage denn wirklich bewusst?