Befunde: Regelhaftes in Repertoires erkennen

Unter einer Schreib­stra­te­gie ver­ste­he ich die ver­fes­tig­te, bewuss­te und damit benenn­ba­re Vor­stel­lung davon, wie Ent­schei­dun­gen beim Schrei­ben zu fäl­len sind, damit eine Schreib­auf­ga­be opti­mal gelöst wer­den kann – damit also der Schreib­pro­zess und das Text­pro­dukt mit höhe­rer Wahr­schein­lich­keit eine ziel­ge­mä­ße Gestalt anneh­men und eine ziel­ge­mä­ße Funk­ti­on erfüllen.

Sol­che Schreib­stra­te­gien zei­gen das For­mat »x tun, weil y gilt« oder »x tun, um y zu errei­chen«, wobei y unge­nannt blei­ben kann (Becker-Mrot­zek u. Hei­no 1993; Ort­ner 2002; Per­rin 2001, S. 18).

Mit der Äuße­rung »Sehe da etwas, […] das ist das Top­the­ma der Woche, das kommt ganz bestimmt rein. Spei­che­re es ab und neh­me es direkt in mei­nen Text rüber« zum Bei­spiel benennt MB die Stra­te­gien »Einen Quel­len­text über­neh­men, weil sein The­ma Top­the­ma der Woche ist« und »Einen Quel­len­text in die eige­ne Text­da­tei ein­ko­pie­ren, um ihn zu über­neh­men«. So lässt sich aus MBs retro­spek­ti­vem Ver­bal­pro­to­koll das Reper­toire der benann­ten Stra­te­gien ablei­ten, auf Bezü­ge von Text­ge­stal­tung und beab­sich­tig­ter Text­wir­kung hin ana­ly­sie­ren und in Bezug set­zen zu ande­ren Repertoires.

Das Repertoire der benannten Strategien

Die fol­gen­de Lis­te zeigt der Rei­he nach alle Aus­zü­ge aus dem Ver­bal­pro­to­koll, in denen MB Schreib­stra­te­gien zur Spra­che bringt. Nach jedem Pro­to­koll­aus­zug sind die for­ma­tier­ten Stra­te­gien auf­ge­lis­tet, in Form von stan­dar­di­sier­ten Umschrei­bun­gen der Äuße­run­gen im Pro­to­koll. Dort, wo die Abfol­ge der Text­pro­duk­ti­ons­hand­lun­gen leicht nach­voll­zieh­bar ist, zei­gen zudem Aus­zü­ge in S-Nota­ti­on die Text­re­vi­sio­nen – also wel­che Text­stel­len MB in wel­cher Rei­hen­fol­ge ein­ge­fügt und gelöscht hat (Tab. 1).

Strategien zu Textgestaltung und Textwirkung

MB bringt also ein brei­tes Reper­toire von Text­pro­duk­ti­ons­stra­te­gien zur Spra­che. Ein Teil der Stra­te­gien ist aus­ge­rich­tet auf die Gestal­tung des Arbeits­pro­zes­ses (1b, 3a, 3b, 76a, 168a, 179b); die ande­ren auf die Gestal­tung des Text­pro­dukts. Die­se pro­dukt­ge­rich­te­ten Stra­te­gien betref­fen die Bezie­hung des Texts zu berich­te­ten Welt­aus­schnit­ten (121a), zu aktu­el­len Dis­kur­sen (1a), zu gene­rel­len Sprach­nor­men (179a, 140b, 168b), zum Medi­um Radio (15a, 121b, 168d, 58a) und zu den Adres­sa­ten (140a, 8a, 103b, 103a, 168c).

In jener letz­ten Grup­pe benennt MB die Adres­sa­ten aus­drück­lich, und zwar als »uns« (8a, 103a), »die Leu­te« (140a) und »die Hörer« (103b) beim »Hören« (168c). In MBs Vor­stel­lung erwar­ten die Adres­sa­ten Ser­vice­leis­tun­gen zum »Ski fah­ren« (140a) und »mensch­li­che Nähe« (8a), sie wol­len sich das Berich­te­te »vor­stel­len« kön­nen (103a) und sich beim Nach­rich­ten­hö­ren nicht anstren­gen (168c) – und sie dro­hen ihre »Auf­merk­sam­keit« abzu­wen­den, wenn Äuße­run­gen nicht »ver­ständ­lich for­mu­liert« sind (103b).

Eine ähn­lich brei­te Grup­pe von Stra­te­gien zielt auf medi­en­ge­rech­te, hier radio­ge­rech­te Bei­trags­ge­stal­tung. Dazu gehö­ren rela­ti­ve statt abso­lu­te Zeit­an­ga­ben (15a), ein­fa­che statt »kom­pli­zier­te« und des­halb »doof« klin­gen­de For­mu­lie­run­gen (121b). Zu ver­mei­den sind kom­pli­zier­te Details (168d) und Wort­wie­der­ho­lun­gen (58a). Zwei­mal gibt MB zu ver­ste­hen, er müs­se sei­nen Quel­len­text redi­gie­ren, weil die Nach­rich­ten­agen­tur für die Zei­tung geschrie­ben habe, nicht fürs Radio (15a, 168d).

Mit den übri­gen pro­dukt­ge­rich­te­ten Stra­te­gien zielt MB dar­auf, all­ge­mei­ne Nor­men jour­na­lis­ti­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on ein­zu­hal­ten. Er will aktu­el­le The­men auf­grei­fen (1a), die vor­ge­ge­be­ne Bei­trags­län­ge ein­hal­ten (140b und 168b) sowie fal­sche Aus­sa­gen, sprach­li­che Feh­ler und »schlech­te For­mu­lie­run­gen« ver­mei­den (121a, 179a). Sei­ne pro­zess­ge­rich­te­ten Stra­te­gien schließ­lich betref­fen die  Mate­ri­al­samm­lung (1b, 3a, 3b), die Text­über­ar­bei­tung (76a), die Text­kon­trol­le (179b) und die Vor­be­rei­tung des Typo­skripts zum Spre­chen (168a).

Zusam­men­ge­fasst zeigt die Pro­gres­si­ons­ana­ly­se im Fall Nach­rich­ten­block, dass der Jour­na­list MB mit Blick auf sei­ne Text­re­vi­sio­nen bestimm­te pro­duk­ti­ons­lei­ten­de Vor­stel­lun­gen zum Zusam­men­hang von Text­ge­stal­tung und beab­sich­tig­ter Text­wir­kung zur Spra­che bringt. Deut­lich zeich­net er dabei sei­ne Vor­stel­lung der Adres­sa­ten und des Medi­ums Radio. In bei­den Bezugs­rah­men zielt er auf anschau­lich, ver­ständ­lich und unkom­pli­ziert gestal­te­te Texte.