Individuelle und überindividuelle Merkmale
Andere Fälle zeigen andere individuelle Schwerpunkte in den strategischen Repertoires der Untersuchten. So bringt etwa der Nachrichtenredakteur eines öffentlichen Radiosenders differenziertere produktionsleitende Vorstellungen zum Vorwissen seiner Adressaten zur Sprache (›Fall Korea‹, vgl. Perrin 2006, S. 103, 129, 156, 163, 182). Oder der Redakteur eines privaten Fernsehsenders übersetzt standardsprachliche Nachrichtentexte mit viel Aufwand in Dialekt – und verändert dabei den Sinn seiner Nachrichten deutlich (vgl. Perrin 2001, S. 125 f.).
Überdies lässt die explorative Untersuchung an 16 journalistischen Arbeitsplätzen auch überindividuelle Regelhaftigkeiten vermuten: Unterscheidet man systematisch erfahrene und unerfahrene Journalistinnen und Journalisten, zeigen die erfahrenen reichere Repertoires an Strategien zum Gestalten der Textproduktionsprozesse und der Textwirkung; die Strategien unerfahrener Journalisten dagegen zielen kaum auf den Schreibprozess und kaum auf Funktion und mögliche Wirkung des Textprodukts (vgl. Perrin u. Ehrensberger 2006).
Die Computertechnik am Arbeitsplatz wird von den Erfahrenen bewusst und differenziert zur Textgestaltung eingesetzt, zum Ausprobieren von Formulierungsvarianten, als Stoff- und Strukturlieferant oder als Schreibmaschine nach der Textplanung im Kopf. Die Unerfahrenen dagegen äußern sich nicht zum Schreibwerkzeug Computer und verlieren oft Zeit und Überblick mit fragmentarischem Kopieren und kleinräumigem Hin-und-her-Korrigieren im Text (vgl. Perrin u. Ehrensberger 2006).
Wissenstransfer: Komplexe Probleme analysieren und lösen
Unterscheiden sich erfahrene und unerfahrene Journalisten systematisch darin, was sie beim Schreiben tun und warum sie es tun, könnte es didaktisch reizvoll sein, Auszubildende gezielt mit Strategien und Arbeitsweisen Erfahrener vertraut zu machen. Wie dies umzusetzen ist, hängt von der hinterlegten Lerntheorie ab. Unbestritten ist aber der didaktische Nutzen präziser Analysen beruflichen Handelns: Erkennen, wie es andere tun, fördert Denken in Varianten (vgl. Becker-Mrotzek u. Brünner 2004a, Dörig 2003).
Im Sinne einer handlungsorientierten Didaktik zum Beispiel können die Analysen als Datenbasis für Aufgabenstellungen genutzt werden, die nach folgendem Grundmuster komplexer Problemlösung funktionieren: Zu einem bestimmten Problem gibt es unterschiedliche Lösungen; sie sind nach bestimmten Kriterien zu bewerten; einzubringen sind Wissen, Methoden und Haltungen; dies führt zur Wahl der passendsten Lösung (vgl. Perrin et al. 2005; Dörig 2003, S. 503–622).
Drei Beispiele für solche Aufgaben: Die erste Aufgabe gilt dem Bezug von Textdesign und Medienspezifik, die zweite dem Bezug von Textdesign und unterstellter Verarbeitungskompetenz der Adressaten, die dritte dem Bezug von Textdesign und Erwartungen der Adressaten. Die Aufgaben stammen aus einem Einführungsbuch in Medienlinguistik, das auf Förderung der Analysekompetenz hin angelegt ist (Perrin 2006; King 2006). Lösungsansätze finden sich unter http://www.medienlinguistik.net.
Fall NACHRICHTENBLOCK: Sprache für die Zeitung, Sprache fürs Radio
Der Redakteur MB des Privatsenders Radio 32 stellt seinen ersten Nachrichtenblock des Morgens zusammen (Beispiele 4 und 6). Den Rohstoff dazu bezieht er vom allgemeinen Dienst einer Nachrichtenagentur. Laut Verbalprotokoll (Beispiele 5 und 7) will er sich beim Redigieren von einer Sprache absetzen, die »für die Zeitung« geschrieben ist (Beispiel 5).
Aufgabe
- Zeigen Sie, welche sprachlichen Merkmale MB ändert.
- Beschreiben Sie dann, wie MB im Verbalprotokoll die Varianten im Agenturtext mit »Zeitung« verbindet und die neuen Varianten mit Radio.
- Zeigen Sie im Verbalprotokoll, welche sprachlichen Normen MB seiner Einschätzung hinterlegt.
- Nennen und begründen Sie schließlich Ihre Einschätzung, ob die alte oder die neue Variante besser zu Radionachrichten passt.
Der Neuenburger FDP- 12 { 13 [ | 13 ] 13 | 14 } 12 Nationalrat Claude Frey
14 {gestern} 14 | 15 15 [hat am Donnerstag] 15 | 16 abend im West 16 {-} 16 |
17 schweizer 17 { 18 [ | 18 ] 18 | 19 } 17 Fernsehen sein Interesse an einer Kandidatur
(4) Fall NACHRICHTENBLOCK, Revision 15 und Umfeld
Nehme den <Donnerstag abend> raus, weil es ist mehr für die Zeitungen geschrieben, mache aus <Donnerstag> <gestern>, weil das ist für die Zeitung geschrieben.
(5) Fall NACHRICHTENBLOCK, Verbalprotokoll zu Revision 15
Raum 168 {-} 168 | 169 fahrt 169 {-} 169 | 170 kreisen. Glenn wurde berühmt,
170 { 171 [ | 171 ] 171 | 172 } 170 als er 172 [am 20. Februar ] 172 | 173 1962 als
erster US-Astronaut 173 [mit der Raumkapsel ›Mercury Friendship-7‹ di]
173 | 174 174 {di} 174 | 175 e Erde umrundete.
(6) Fall NACHRICHTENBLOCK, Revision 172 und Umfeld
Da sind die <Raumfahrtkreisen>, werden auch aufgeschlüsselt, und ich erkläre noch einmal wegen 1962- 20. Februar, dass es genau dort ist, nimmt mir wieder Platz und gibt sehr viel Informationen, die es sehr anstrengend machen zum Hören, deshalb kommen sie weg, ebenfalls, wie diese Raumkapsel heißt. Ist für die Zeitung sehr gut, aber für uns muss eine Meldung einfach gemacht sein. (R32.172)
(7) Fall NACHRICHTENBLOCK, Verbalprotokoll zu Revision 172