Drit­te Mög­lich­keit der Bear­bei­tung ist der Aus­tausch der Bestand­tei­le inner­halb des gege­be­nen Kon­tex­tes und ändert Schwer­punkt, Gewicht und Anse­hen der Rede.

Mit der vier­ten Tech­nik tauscht der Autor hier und jetzt unbrauch­ba­re Ele­men­te gegen sol­che aus frem­den, mög­li­cher­wei­se nach Inhalt, Zeit oder Ort weit ent­fern­ten Kon­tex­ten aus. Ande­re Ver­fah­rens­wei­sen lau­fen auf die Kon­struk­ti­on des völ­li­gen Gegen­teils, auf die iro­ni­sche Zwei­deu­tig­keit, ja sogar auf die tota­le Iden­ti­fi­ka­ti­on hin­aus, die einer Fäl­schung gleich kommt. Für letz­te­re hat der argen­ti­ni­sche Schrift­stel­ler und übri­gens inti­me Ken­ner der Rhe­to­rik Jor­ge Luis Bor­ges uns das Exem­pel des Grenz­falls der Imi­ta­tio vor Augen geführt, und zwar in sei­ner Geschich­te »Pierre Menards, des Autors des Quijote«.

Jener Menard, der im 1. Drit­tel des 20 Jahr­hun­derts leben soll­te, hat­te sich das fol­gen­de wahn­wit­zi­ge Pro­jekt vor­ge­nom­men: »Er woll­te nicht einen ande­ren Qui­jo­te ver­fas­sen, was leicht ist -, son­dern den Qui­jo­te. Unnütz hin­zu­zu­fü­gen, daß er kei­ne mecha­ni­sche Über­tra­gung des Ori­gi­nals ins Auge faß­te; einer blo­ßen Kopie galt nicht sein Vor­satz. Sein bewun­derns­wer­ter Ehr­geiz war viel­mehr dar­auf gerich­tet, ein paar Sei­ten her­vor­zu­brin­gen, die – Wort für Wort und Zei­le für Zei­le – mit denen von Miguel de Cer­van­tes über­ein­stim­men sollten.«

Auch den Auf­wand, den das Vor­ha­ben bedeu­te­te, skiz­ziert Bor­ges, nennt es iro­nisch eine »ver­hält­nis­mä­ßig einfach(e)« Metho­de: »Gründ­lich Spa­nisch ler­nen, den katho­li­schen Glau­ben wie­der­erlan­gen, gegen die Mau­ren oder gegen die Tür­ken kämp­fen, die Geschich­te Euro­pas im Zeit­raum zwi­schen 1602 und 1918 ver­ges­sen, Miguel de Cer­van­tes sein. Pierre Menard ging die­sem Ver­fah­ren auf den Grund (ich weiß, daß er es zu einer recht getreu­en Hand­ha­bung der spa­ni­schen Spra­che des 17. Jahr­hun­derts brach­te), schob es aber als zu leicht bei­sei­te … Im zwan­zigs­ten Jahr­hun­dert ein popu­lä­rer Schrift­stel­ler des 17. Jahr­hun­derts zu sein, kam ihm wie eine Her­ab­min­de­rung vor. Auf irgend­ei­ne Art Cer­van­tes zu sein und zum Qui­jo­te zu gelan­gen, erschien ihm weni­ger schwie­rig – infol­ge­des­sen auch weni­ger inter­es­sant – als fer­ner­hin Pierre Menard zu blei­ben und – durch die Erleb­nis­se Pierre Menards – zum Qui­jo­te zu gelangen.«

Der Erzäh­ler, gebannt von der küh­nen Idee Menards beginnt den Roman zu lesen, ent­deckt schnell klei­ne Wider­sprü­che, über­se­he­ne Anspie­lun­gen, bei­läu­fi­ge Unge­reimt­hei­ten, die nie­mals einem Autor des 17. Jahr­hun­derts pas­sie­ren konn­ten, son­dern offen­bar auf Pierre Menards Kon­to gehen. Vor sei­nen Augen tau­schen Menard und Cer­van­tes die Gesich­ter und der Text ver­wan­delt sich in ein Buch des Pari­ser Schrift­stel­lers und Bor­ges-Zeit­ge­nos­sen, der sich bis auf klei­ne indi­zi­en­haf­te Feh­ler oder Aus­rut­scher voll­kom­men in sämt­li­che Ver­hält­nis­se jener ver­gan­ge­nen Epo­che und ihres fik­ti­ven Autors namens Cer­van­tes hin­ein­ge­dacht, hin­ein­ge­schrie­ben hat. Bor­ges been­det sein laby­rin­thi­sches Expe­ri­ment mit einer über­ra­schen­den Nutz­an­wen­dung: »Menard hat (viel­leicht ohne es zu wol­len) ver­mit­tels einer neu­en Tech­nik die abge­stan­de­ne und rudi­men­tä­re Kunst des Lesens berei­chert, näm­lich durch die Tech­nik des vor­sätz­li­chen Ana­chro­nis­mus und der irr­tüm­li­chen Zuschrei­bun­gen. Die­se unend­lich anwen­dungs­fä­hi­ge Tech­nik ver­an­laßt uns, die Odys­see so zu lesen, als wäre sie nach der Aen­eis gedich­tet wor­den, und das Buch ›Le Jar­din du Cen­tau­re‹ von Madame Hen­ri Bache­lier so, als wäre es von Madame Hen­ri Bache­lier. Die­se Tech­nik erfüllt mit aben­teu­er­li­cher Viel­falt die geruh­sams­ten Bücher. Wie, wenn man Lou­is Fer­di­nand Céli­ne oder James Joy­ce die ›Imi­ta­tio Chris­ti‹ zuschrie­be: hie­ße das nicht, die­se dünn­blü­ti­gen geist­li­chen Anwei­sun­gen hin­läng­lich mit Erneue­rungs­kraft begaben?«

Bevor Sie, mei­ne Damen und Her­ren, sich hoff­nungs­los in die­sem Spie­gel­ka­bi­nett ver­fan­gen, oder es gar als eine müs­si­ge lite­ra­ri­sche Spie­le­rei abtun, möch­te ich Sie an die Erfin­dung des wah­ren Ossi­an durch den Schot­ten MacPher­son oder die Ent­de­ckung Tho­mas Chat­ter­tons von der Dich­tung eines bis dato unbe­kann­ten Mönchs aus dem 15. Jahr­hun­dert erin­nern. Auch einen deutsch-elsäs­si­schen Autor kann ich in die­se Rei­he stel­len, sein Name Geor­ge Fores­tier, sein schma­les Werk besteht aus eini­gen hoch­ge­lob­ten Gedicht­bänd­chen aus sei­ner Legio­närs­zeit, die man fälsch­li­cher­wei­se spä­ter einem Karl Eme­rich Krä­mer zuschrieb. Ein Frem­den­le­gio­när wird ja wohl kaum so heißen!

Auch an Ihre Erin­ne­rung an eine sei­ner­zeit recht spek­ta­ku­lär erleb­te künst­le­ri­sche Imi­ta­tio möch­te ich in unse­rem Zusam­men­hang appel­lie­ren. Das all­täg­li­che Geprä­ge des dabei ver­wen­de­ten Gegen­stands ver­deut­licht das Ver­fah­ren. Als Andy War­hol 1962 sei­ne Camp­bells-Sup­pen­do­sen in einer berühm­ten Seri­gra­phie publi­zier­te und signier­te, ver­ur­teil­te er im sel­ben Zuge alle bis­he­ri­gen und alle spä­te­ren Exem­pla­re zu mil­lio­nen­fa­chen Kopien sei­nes Ori­gi­nals. Eine beson­de­re Vol­te in der Ästhe­tik der Imi­ta­ti­on ver­dan­ken wir aber Arno Schmidt, der die »Wirk­li­che Welt« zur »Kari­ka­tur uns­rer Großn Roma­ne« erklär­te. Womit er gleich­sam neben­bei einen popu­lä­ren Schein-Unter­schied zwi­schen künst­le­ri­scher und rhe­to­ri­scher »imi­ta­tio«, also zwi­schen »imi­ta­tio naturae« und »imi­ta­tio artis« besei­tig­te. Das hat­te vor­her zwar schon Fried­rich Nietz­sche getan, der jedes Abbild, also auch das der Natur als meta­pho­ri­sche, näm­lich sprach­li­che Ope­ra­ti­on ana­ly­sier­te, aber das Ergeb­nis nicht mit der ent­waff­nen­den Chuz­pe prä­sen­tier­te, wie das der Autor von »Zet­tels Traum« dann tun sollte.

Doch halt! Ich bin, das Sche­ma der red­ne­ri­schen »dis­po­si­tio« nun sel­ber »per adiec­tion­em« erwei­ternd, mei­nem Gedan­ken­gang etwas vor­aus­ge­eilt. Denn bevor man die Metho­den der Ver­än­de­rung anwen­den und etwa aus dem Volks­buch vom Dok­tor Faus­tus ein Welt­dra­ma machen kann, muß zuvor die Fra­ge geklärt wer­den, was zur Nach­ah­mung sich eigent­lich anbie­tet, wie schöp­fe­risch sie dann auch immer mit dem Vor­bild umge­hen mag. Dass eine Aus­wahl getrof­fen wer­den muß, liegt ange­sichts der schie­ren Men­ge des Gebrauch­ten auf der Hand – einen klei­nen Hin­weis in die rich­ti­ge Rich­tung kön­nen wir sogar aus den Ver­sen Wil­helm Buschs lesen. Nicht ohne Grund näm­lich hat er für sei­ne lyri­sche Para­bel den »Schwal­ben­schwanz«, die fest­li­che Gar­de­ro­be, nicht die Arbeits­kluft, herbeizitiert.


Doppelausgabe Nr. 8 und 9, Herbst 2016

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