Jens beschreibt die Ver­hält­nis­se einer Epo­che, in denen aller­dings die Über­ein­kunft in Bil­dungs­an­ge­le­gen­hei­ten brü­chig gewor­den war und auch in den bür­ger­li­chen Trä­ger­schich­ten nicht mehr frag­los galt. Die Ursa­chen dafür lie­gen viel­leicht zwei, höchs­tens drei Gene­ra­tio­nen zurück, beson­ders krass aus­ge­prägt in der Genie­be­we­gung des spä­ten 18. Jahr­hun­derts. Ihr kommt das frag­wür­di­ge Ver­dienst zu, die inne­re Dia­lek­tik von Nach­ah­mung und Über­bie­tung zuguns­ten der Ido­la­trie von Ori­gi­na­li­tät auf­ge­ho­ben zu haben. Im 19. Jahr­hun­dert ver­lang­sam­te sich der Umbruch zwar wie­der, auch beleb­ten sich älte­re Bil­dungs­ideen erneut, aber doch nur kurz­fris­tig; sie erwie­sen sich als Vor­stu­fe zu dem heu­ti­gen unbe­frie­di­gen­den Zustan­de schein­bar gren­zen­lo­ser Lizenzen.

Wenn wir die Erfin­dung der Ori­gi­na­li­tät, ja dass sie über­haupt eine Erfin­dung ist, ver­ste­hen wol­len, scheint mir ein Sei­ten­blick auf die Buch­pro­duk­ti­on im Zeit­al­ter der Auf­klä­rung unum­gäng­lich. Des­sen Kom­mer­zia­li­sie­rung folgt der Ent­wick­lung der all­ge­mei­nen Wirt­schafts­ver­hält­nis­se, das ist bekannt. Aus­wei­tung des Lese­pu­bli­kums, ten­den­zi­el­le Ver­än­de­rung der Lek­tü­re zur Mas­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on, die Lösung des Schrift­stel­lers aus stän­di­scher Sicher­heit und sei­ne Abhän­gig­keit von den Mecha­nis­men des Mark­tes, so lau­ten die ent­spre­chen­den his­to­ri­schen Schub­la­den. Wenn sie die wirk­li­chen Phä­no­me­ne auch nur sehr abs­trakt beschrei­ben, Ungleich­zei­tig­kei­ten oder Ver­schie­bun­gen nicht berück­sich­ti­gen, in gro­ßer Linie tref­fen sie zu, und Zeit­ge­nos­sen wie Wie­land und Goe­the haben es schon so gese­hen. »Der Buch­han­del bezog sich in frü­he­rer Zeit«, erin­nert Goe­the, »mehr auf bedeu­ten­de, wis­sen­schaft­li­che Fakul­täts­wer­ke, auf ste­hen­de Ver­lags­ar­ti­kel, wel­che mäßig hono­riert wur­den. Die Pro­duk­ti­on von poe­ti­schen Schrif­ten aber wur­de als etwas Hei­li­ges ange­se­hen, und man hielt es bei­nah für Simo­nie, ein Hono­rar zu neh­men oder zu stei­gern.« Noch als Klop­stock, Les­sing, Nico­lai durch Ver­lags­grün­dun­gen der Schrift­stel­le­rei eine soli­de öko­no­mi­sche Basis zu geben ver­such­ten, war die Mei­nung weit ver­brei­tet, dass der Autor »über­haupt kein Hono­rar neh­men« sol­le, das »Bücher­schrei­ben sei ein­mal kein Broterwerb«.

Im Mit­tel­punkt der öffent­li­chen Dis­kus­si­on stand daher eine Zeit­lang nicht der Autor, son­dern der Buch­händ­ler. Der war der eigent­li­che Ver­die­ner. Das Buch hat­te er vom Ver­fas­ser gekauft, es war damit in sei­nen Besitz über­ge­gan­gen, und wenn der Autor über­haupt ein Hono­rar erhielt, war er damit auch aus­be­zahlt, erhielt für wei­te­re Auf­la­gen nichts. Die­ses ein­ge­schränk­te Eigen­tums­recht des Schrift­stel­lers betraf auch den regen Nach­druck­be­trieb, der ein Mode­the­ma der Epo­che war. Es erklärt, war­um ein Autor wie Knig­ge, obwohl er schon zum größ­ten Teil von sei­nem Schrei­ben leben muss­te, doch zuguns­ten des Nach­drucks plä­dier­te: Wenn er schon sein Eigen­tums­recht ver­kauft und nichts wei­ter zu erwar­ten hat­te, war ihm mehr an der Ver­brei­tung sei­ner Ideen als am Ver­dienst sei­nes Ver­le­gers gele­gen, von dem er sel­ber aber nichts wei­ter zu erwar­ten hatte.

Ich habe schon kurz erwähnt, dass sich im Zuge die­ser Ver­än­de­run­gen auch die Lek­tü­re­ge­wohn­hei­ten wan­del­ten. Von einer »immer­wäh­ren­den Neu­ig­keits­jä­gerey« sieht sich ein bay­ri­scher Auf­klä­rer bedroht. Die gras­sie­ren­de Lese­sucht, die Wie­land und vie­le ande­re bekla­gen, ver­lang­te nach immer neu­er Nah­rung, man las nicht inten­siv, son­dern soviel wie mög­lich, benö­tig­te dau­ernd Nach­schub für die Leih­bi­blio­the­ken und Lese­ver­ei­ne. Für die Autoren ein ste­ter Ansporn zur Neu­pro­duk­ti­on von neu­en Büchern mit neu­en, noch mög­lichst unbe­kann­tem Inhalt. An ihrer pre­kä­ren sozia­len Stel­lung änder­te das zunächst nichts, wohl aber an ihrem Ver­hält­nis zur Tra­di­ti­on, auf die sich zurück­zu­be­zie­hen kei­nen Erfolg mehr ver­sprach. Noch ein­mal Goe­the: »Nun soll­te aber die Zeit kom­men, wo das Dich­ter­ge­nie sich selbst gewahr wür­de, sich sei­ne eige­nen Ver­hält­nis­se selbst schü­fe, und den Grund zu einer unab­hän­gi­gen Wür­de zu legen ver­stän­de. Alles traf in Klop­stock zusam­men, um eine sol­che Epo­che zu begründen.«

Nicht ver­ges­sen dür­fen wir in die­sem Zusam­men­hang den Ursprung des Eigen­tums­rechts im revo­lu­tio­nä­ren Frank­reich, das sich auch des geis­ti­gen Eigen­tums ver­si­cher­te. Es war (aus­ge­rech­net, könn­te man aus­ru­fen) Preu­ßen, das in sei­nem Land­recht zum ers­ten Mal in der deut­schen Geschich­te das Urhe­ber­recht ver­an­ker­te, und zwar schon zu Beginn der 90iger Jah­re. Nimmt man alles zusam­men, so basiert die Erfin­dung und Kar­rie­re des Ori­gi­na­li­täts­be­griffs auf zwei Grund­sät­zen der neu­en Epo­che: auf der Ver­än­de­rung der Lese­ge­wohn­hei­ten im Zuge begin­nen­den Mas­sen­kon­sums und auf dem unver­brüch­li­chen Recht des Schrift­stel­lers an sei­nem Ori­gi­nal-Werk. Des­sen Aus­weis als ein­zig­ar­tig und vorraus­set­zungs­los begrün­de­te schließ­lich alle öko­no­mi­schen Ansprü­che, fun­gier­te sozu­sa­gen als Marken-Produkt-Zeichen.

Und die Nach­ah­mung, wer­den wir uns jetzt fra­gen, hat­te sie aus­ge­dient? Schöpf­te der Autor jetzt nur noch aus sich selbst oder direkt aus der Natur? Eman­zi­pier­te er sich von Ein­fluß, gar Zwang der Ver­gan­gen­heit? War er end­lich frei und selb­stän­dig gewor­den? Die meis­ten Dich­ter häng­ten sich die­se Eti­ket­ten um, sie stell­ten sich schnell als Schwin­del her­aus. Fried­rich Maxi­mi­li­an Klin­ger, der einst mit sei­nem Dra­ma »Sturm und Drang« der Bewe­gung in Deutsch­land einen Namen gege­ben hat­te, bemerk­te spä­ter rea­lis­tisch: »Das Publi­kum kann frei­lich zu sei­nen Schrift­stel­lern sagen: ›Ihr steht in unserm Sol­de!‹ Die meis­ten könn­ten aber dem Publi­kum sagen: – so die­nen wir dir auch!« Auch im übri­gen herrsch­ten Selbst­täu­schung und Wer­bungs­sprü­che. Die Autoren, denen man nach­fol­gen woll­te, hie­ßen nicht mehr Cice­ro oder Horaz, son­dern Shake­speare, oder es waren die anony­men Urhe­ber der nor­di­schen Poe­sie, die Her­der über­setz­te. Dass Shake­speare, wenn auch auf ande­re Wei­se, aber eben­so fest in der rhe­to­ri­schen Tra­di­ti­on fuß­te wie Horaz oder Ver­gil oder der geschmäh­te Corn­eil­le, dafür hat­te nie­mand einen Sinn. Auch nicht dafür, dass Goe­thes »Wert­her« ein aus­ge­klü­gel­tes Pro­dukt feins­ter Affekt­rhe­to­rik war, kein Naturprodukt.


Doppelausgabe Nr. 8 und 9, Herbst 2016

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