Wir sind die Bösen: Die neue Propagandastrategie

Die Taten vom 7. Okto­ber mar­kie­ren eine Abkehr von der bis­he­ri­gen Tak­tik: Wäh­rend die Hamas bis­her der Welt­öf­fent­lich­keit bewusst fried­fer­tig erschei­nen woll­te und Bil­der von paläs­ti­nen­si­scher Gewalt nur einem stark radi­ka­li­sier­ten ara­bisch­spra­chi­gen Publi­kum vor­be­hal­ten waren, will sie sich nun in aller men­schen­mög­li­chen Bru­ta­li­tät zei­gen. Beson­ders fällt auf, dass in den Vide­os des Angriffs fast aus­schließ­lich Gewalt gegen Zivi­lis­ten gezeigt wird (s. Abb. 5), obwohl Israe­lis in der Pro­pa­gan­da der Hamas bis­her immer als Sol­da­ten auf­tauch­ten, um weni­ger Empa­thie zu wecken.

Abbildung 5: Anders als bis noch vor Kurzem zeigt die Hamas am 7. Oktober 2023 offen ihre Gewalt gegen Zivilisten auf social media. Bisher wurden solche Bilder vermieden, um nicht als Täter wahrgenommen zu werden.

Abbil­dung 5: Anders als bis noch vor Kur­zem zeigt die Hamas am 7. Okto­ber 2023 offen ihre Gewalt gegen Zivi­lis­ten auf social media. Bis­her wur­den sol­che Bil­der ver­mie­den, um nicht als Täter wahr­ge­nom­men zu werden.

Nun zeigt die Hamas expli­zit Akte der Bru­ta­li­tät gegen Unschul­di­ge. Die Gewalt­ex­zes­se des Über­falls auf Dör­fer und das Nova-Fes­ti­val dür­fen nicht miss­ver­stan­den wer­den als ein blind­wü­ti­ger Blut­rausch; die sadis­ti­schen Tötungs­me­tho­den fol­gen einer geplan­ten Metho­de, die dar­auf abzielt, die maxi­ma­le media­le Auf­merk­sam­keit zu erhal­ten. Beim Über­fall auf das Nova-Fes­ti­val konn­ten die Ter­ro­ris­ten damit rech­nen, dass die Fes­ti­val­be­su­cher ihr eige­nes Leid per Han­dy­ka­me­ra doku­men­tie­ren wür­den; zusätz­lich film­ten die Täter ihre eige­nen Hand­lun­gen und stell­ten sie online[6]. Auch die öffent­li­chen Lei­chen­schän­dun­gen wur­den von der Hamas doku­men­tiert und auf den sozia­len Platt­for­men gestreut. Das Phä­no­men der »Gami­fi­ca­ti­on of Ter­ror«, das beson­ders durch die anti­se­mi­ti­schen Anschlä­gen in Hal­le und Christ­church an Auf­merk­sam­keit gewon­nen hat, hat spä­tes­tens damit die Welt des Isla­mis­mus erreicht: Mord als Live­stream auf dem Bild­schirm, Schüs­se aus der first per­son view wie bei einem Ego-Shoo­ter (s. Abb. 6).

Abbildung 6: Die Hamas-Terroristen nutzten bei ihren Taten Bodycams, um eine first-person-view-Optik wie bei einem Egoshooter zu erzielen. Ähnlich gingen auch schon die Attentäter von Christchurch und Halle vor.

Abbil­dung 6: Die Hamas-Ter­ro­ris­ten nutz­ten bei ihren Taten Body­cams, um eine first-per­son-view-Optik wie bei einem Ego­shoo­ter zu erzie­len. Ähn­lich gin­gen auch schon die Atten­tä­ter von Christ­church und Hal­le vor.

Beson­ders per­fi­de ist eine Tak­tik, die die Täter mehr­mals ein­setz­ten: Sie zwan­gen gefan­gen­ge­nom­me­ne Israe­lis, sich in ihre social-media-accounts ein­zu­log­gen, film­ten sich dabei, wie sie die Gefan­ge­nen ermor­de­ten und pos­te­ten die Vide­os der Taten über die Accounts der Opfer, damit die Ange­hö­ri­gen den Mord mit anse­hen muss­ten[7]. Die­se Vor­ge­hens­wei­se lässt sich nicht allein mit dem blin­den Hass auf Juden erklä­ren; sie ist Teil einer Pro­pa­gan­da, die die Ver­brei­tung von Angst zum Ziel hat. Es ist ein psy­cho­lo­gi­scher Ter­ror, der die israe­li­sche Gesell­schaft trau­ma­ti­sie­ren soll, um die Moral des Geg­ners zu bre­chen. In die­ser Denk­wei­se ist es nur logisch, dass der Angriff nicht der mili­tä­ri­schen Infra­struk­tur Isra­els galt, son­dern vor allem Zivi­lis­ten zum Ziel hat­te: Der Tod eines Sol­da­ten im Kampf­ein­satz trifft den Betrach­ter weni­ger schmerz­voll als der Mord an fried­li­chen Fami­li­en, Kin­dern, Babys und Fes­ti­val­be­su­chern. Es ist ein Mor­den, das uns näher ist, weil es nicht auf einem weit ent­fern­ten Schlacht­feld statt­fin­det, son­dern in der eige­nen Küche, im Kin­der­zim­mer und auf dem Spiel­platz. Die Bot­schaft ist klar: Ihr könnt euch nir­gend­wo sicher füh­len, denn wir sind überall.

Die­se Tak­tik führt uns als Betrach­ter in eine Zwick­müh­le: Sol­len wir all die schreck­li­chen Bil­der und Vide­os tei­len oder nicht? Wir wol­len die Welt dar­auf auf­merk­sam machen, zu wel­chen unmensch­li­chen Taten die Hamas fähig ist, wir wol­len unser Mit­leid mit den Opfern aus­drü­cken, wir wol­len unse­rer Anteil­nah­me Aus­druck ver­lei­hen – doch mit einem Klick auf den »share«-button hel­fen wir der Hamas, ihre Ter­ror­pro­pa­gan­da zu tei­len. Die Hamas kal­ku­liert unse­ren Wil­len, sie anzu­pran­gern, mit ein und macht uns dadurch unwil­lent­lich zu Mit­tä­tern: Jedes Bild eines Opfers, jedes Inter­view mit den ver­stör­ten Über­le­ben­den, jedes Video, das Ret­tungs­kräf­te inmit­ten blut­ver­schmier­ter Pri­vat­woh­nun­gen zeigt, hilft der Hamas, das Trau­ma tie­fer in den Köp­fen der israe­li­schen Gesell­schaft zu verankern.

Fer­ner fällt das Pathos auf, das bei die­sem Angriff zum Ein­satz kam: Bedeu­tungs­schwan­ger wur­de als Ter­min der 7. Okto­ber gewählt, der fünf­zigs­te Jah­res­tag des Aus­bruchs des Yom-Kip­pur-Krie­ges; jenes Über­ra­schungs­an­griffs auf Isra­el, der zwar mit einer mili­tä­ri­schen Nie­der­la­ge, aber einem pro­pa­gan­dis­ti­schen Sieg der ara­bi­schen Staa­ten ende­te und der die israe­li­sche Gesell­schaft nach­hal­tig trau­ma­ti­sier­te. Auch, dass die­ser Jah­res­tag auf den Sim­chat Tho­ra, einen beson­ders fröh­li­chen jüdi­schen Fei­er­tag fiel, dürf­te bei der Aus­wahl des Datums eine Rol­le gespielt haben. So wird der Angriff sym­bo­lisch nicht nur im Vor­aus zu einem neu­en mora­li­schen Sieg über Isra­el ver­klärt, son­dern auch ein Fei­er­tag, der bis­her aus­ge­las­sen gefei­ert wur­de, als Tag der Trau­er und der Angst neu besetzt. Eine rhe­to­ri­sche Beson­der­heit hat sich dabei im Ver­gleich zur frü­he­ren Pro­pa­gan­da nicht geän­dert: Auch wei­ter­hin bedient die Hamas eine melo­dra­ma­ti­sche ara­bisch-mus­li­mi­sche Grup­pen­iden­ti­tät, die Ara­ber und Mus­li­me auf der gan­zen Welt im Hass auf Isra­el ver­ei­nen soll. Beson­ders deut­lich wird das am »Tag des Zorns«, den der ehe­ma­li­ge Hamas-Füh­rer Kha­led Mas­haal für den 13. Okto­ber aus­ge­ru­fen hat­te: Mus­li­me auf der gan­zen Welt soll­ten sich ver­eint dem Kampf gegen Isra­el anschlie­ßen und eine »Bot­schaft des Zorns« sen­den[8]. Die 2017 erschie­ne­ne Stu­die »Anti­se­mi­tis­mus in Deutsch­land« stellt fest, dass ein Grund für Anti­se­mi­tis­mus unter ara­bisch und mus­li­misch gepräg­ten Jugend­li­chen eine mus­li­misch-ara­bi­sche Kol­lek­tiv­i­den­ti­tät ist, bei der sich die betref­fen­den Per­so­nen »eine von allen Mus­li­men geteil­te Ableh­nung gegen Juden«[9] ima­gi­nie­ren. Der Appell der Hamas an eben­die­se Kol­lek­tiv­i­den­ti­tät ist also ein beson­ders wirk­sa­mes Instru­ment anti­se­mi­ti­scher Radikalisierung.

  1. [6] o. A.: Krieg der Bil­der. In: Web­site der taz, https://taz.de/Nahost-Konflikt/!5963808/; 19.10.2023, Abruf­da­tum: 1.11.2023.
  2. [7] o. A.: Hamas-Ter­ro­ris­ten nut­zen Face­book für psy­cho­lo­gi­sche Kriegs­füh­rung. In: Web­site von Der Stan­dard, https://www.derstandard.de/story/3000000191811/hamas-terroristen-nutzen-facebook-fuer-psychologische-kriegsfuehrung; 19.10.2023, 17 Uhr; Abruf­da­tum: 1.11.2023; sie­he auch: Cohen, Li: Israe­li woman lear­ned of grandmother’s kil­ling on Face­book – after mili­tant uploa­ded a video of her body. In: Web­site von CBS News, https://www.cbsnews.com/news/mor-bayder-grandmother-killed-hamas-attack-facebook-video/; 11.10.2023, Abruf­da­tum: 2.11.2023.
  3. [8] Kiff­mei­er, Jens; Wag­ner, Robert; Akkoy­un, Nail: Hamas-Auf­ruf zum »Tag des Zorns«: Ver­fas­sungs­schutz warnt vor Anschlä­gen – Frank­reich erhöht Alarm­stu­fe. In: Web­site der Frank­fur­ter Rund­schau, https://www.fr.de/politik/polizei-hamas-israel-tag-des-zorns-proteste-demonstration-palaestina-berlin-zr-92575256.html; 13.10.2023.
  4. [9] Anne Frank Zen­trum e. V., Bun­des­mi­nis­te­ri­um des Innern / Unab­hän­gi­ger Exper­ten­kreis Anti­se­mi­tis­mus (Hg.): Anti­se­mi­tis­mus in Deutsch­land. Aktu­el­le Ent­wick­lun­gen. Ber­lin 2017. S. 76; sie­he auch: Frind­te, Wolf­gang; Boehn­ke, Klaus; Krei­ken­bom, Hen­ry; Wag­ner, Wolf­gang; Bun­des­mi­nis­te­ri­um des Innern (Hg.): Lebens­wel­ten jun­ger Mus­li­me in Deutsch­land. Ber­lin 2011. S. 621.