Essay
Hamas – Terrorpropaganda im Wandel
Visuell-rhetorische Strategien wurden neu aufgestellt
Die Hamas hat einen Angriff auf Israel gestartet, der in der Geschichte des Landes bisher einmalig ist. Doch der Terror der Palästinenserorganisation beschränkt sich nicht nur auf physische Gewalt: Hinter den Angriffen steckt eine perfide Propagandastrategie, die mit den Mechanismen der sozialen Medien spielt – und die sich in den letzten Jahren auf überraschende Weise gewandelt hat. Auch mit der neuen Taktik schaffen es die Islamisten, ausgerechnet ein links-progressives westliches Publikum erfolgreich zu manipulieren.
Seit dem Holocaust wurden nicht mehr so viele Juden an einem Tag ermordet wie am 7. Oktober 2023. Selbst für die Maßstäbe Israels, eines von regelmäßigen Angriffskriegen geschüttelten Staates, ist die Brutalität, mit der die Hamas zuschlug, beispiellos. Nicht nur die Zahl der Opfer schockiert, sondern auch die Art und Weise, wie die Terroristen vorgingen: 1400 Menschen wurden ermordet, 260 davon starben bei einem Massaker auf einem Techno-Festival, über 240 Zivilisten wurden als Geiseln genommen, Frauen und Kinder öffentlich vergewaltigt, die Leichen geschändet und in Paraden durch die Straßen Gazas gezogen, Babys enthauptet, Menschen bei lebendigem Leib verbrannt und Videos der Taten online gestellt.[1] Es ist vor allem diese lüsterne mediale Zurschaustellung der Verbrechen, die einen Bruch in der bisherigen Selbstinszenierung der Hamas markiert: Noch bis zum letzten Gaza-Krieg 2021 versuchte sich die Organisation trotz ihrer offensichtlichen Terrorakte als Anwalt der Unterdrückten darzustellen. Auf den englischsprachigen social-media-Kanälen und Websites der Islamisten dominierte eine Bildrhetorik und Wortwahl, die das Bild einer scheinbar seriösen politischen Partei zeichnete, die das Leid der palästinensischen Bevölkerung dokumentierte und zu mildern suchte. So versuchte die Hamas, sich die Solidarität einer diskriminierungssensiblen Öffentlichkeit und damit auch finanzielle Unterstützung durch NGOs und staatliche Hilfsgelder zu sichern. Dieser Fokus auf die Ethos-Ebene hat sich mit dem aktuellen Angriff jäh ins Gegenteil verkehrt: Anstatt das Image von menschenfreundlichen Freiheitskämpfern zu vermitteln, investiert die Hamas nun große Arbeit in die mediale Verbreitung ihrer Gräueltaten. Wie kam es zu diesem Wandel?
Wir sind die Guten: Wie die Hamas einst um Vertrauen warb
Ein Blick zurück: In der Anfang 2018 abgeschlossenen Arbeit »Vertrauen Sie uns – Wir sind Terroristen!«[2] wurde die Medienstrategie der Hamas analysiert. Dafür wurden mehrere Monate lang alle social-media-Kanäle der Organisation, ihrer Tochterorganisationen, ihrer Nachrichtenagenturen und Fernsehsender sowie die dazugehörigen externen Websites beobachtet, das gepostete Bildmaterial gesammelt und die Unterschiede zwischen den Kanälen verglichen. Das Ergebnis in Kurzform: Die Propaganda der Hamas zielte zum damaligen Zeitpunkt darauf ab, das Publikum schrittweise zu radikalisieren. Erst sollte bei einer breiten Öffentlichkeit durch emotionale Rhetorik Empathie für das palästinensische Volk erzeugt, anschließend die Hamas als legitimer, vertrauenswürdiger Vertreter der Palästinenser präsentiert und erst im dritten Schritt der bewaffnete Kampf gegen Israel als logischer Schluss aus den vorherigen Punkten präsentiert werden. Anders als in der aktuellen Situation durfte palästinensische Gewalt gegen Israel einem breiten, internationalen Publikum nicht gezeigt werden; Palästinenser sollten zunächst nur als Opfer, nie als Täter dargestellt werden, um Sympathie zu wecken. Teile dieser Taktik nutzt die Hamas noch immer, andere hat sie radikal verworfen.
Die Vorgehensweise der Studie sah wie folgt aus: Alle Bilder, die die Propagandaabteilung der Hamas im untersuchten Zeitraum online postete, wurden gesammelt und nach Kanälen geordnet. Häufig wiederkehrende Motive wurden mit Namen versehen (zum Beispiel »Hamas-Demonstration« oder »glorifizierte Märtyrerdarstellung«) und gezählt. Anschließend wurde ausgewertet, auf welchem Kanal welche Bildmotive wie oft vorkamen: So kam das Motiv »verletztes palästinensisches Kind« auf manchen Kanälen häufiger vor als das Motiv »Hamas-Politiker bei Konferenz oder Staatsbesuch«, das Motiv »bewaffneter Terrorkämpfer« kam auf manchen Kanälen gar nicht vor, auf anderen wiederum sehr häufig. Auch die Unterschiede in den bildlichen Darstellungen von Israelis und Palästinensern wurden miteinander verglichen; dabei wurde untersucht, in welchen Rollen, Identitäten und Situationen die beiden Personengruppen jeweils gezeigt wurden – und wie sich diese Darstellungen von Kanal zu Kanal unterschieden. Zum Schluss wurden die Ergebnisse statistisch ausgewertet, um herauszufinden, ob unterschiedliche Kanäle unterschiedliche Ziele verfolgten – und ob dahinter ein System steckte.
In den Ergebnissen ließ sich ein dreistufiger Radikalisierungsplan erkennen[3]: Auf der ersten Stufe wurden unwissende social-media-Nutzer von unverdächtig erscheinenden Accounts abgeholt. Englischsprachige Nachrichtenseiten, auf denen der Name »Hamas« nicht auftauchte, posteten Bilder und News, die auf die Emotionen der Nutzer abzielten: Fotos von verletzten palästinensischen Kindern, aufgelösten Demos in der Westbank, festgenommenen palästinensischen Jugendlichen sowie Familien, die einander nach der Freilassung aus israelischen Gefängnissen wieder in die Arme schlossen (s. Abb. 1).
- [1] o. A.: What is Known About Israeli Hostages Taken by Hamas. In: Website des American Jewish Committee, https://www.ajc.org/news/what-is-known-about-israeli-hostages-taken-by-hamas; 1.11.2023, Abrufdatum 6.11.2023.
Danan, Deborah: »The Holocaust, all over again«: The Supernova festival massacre, in survivors’ words. In: Website von The Times of Israel, https://www.timesofisrael.com/the-holocaust-all-over-again-the-supernova-festival-massacre-in-survivors-words/; 12.10.2023, Abrufdatum 6.11.2023.
Ermagan, Nive: Schänden, Foltern, Entblößen. Hamas-Terror: Frauenkörper als Schlachtfeld. In: Website des ZDF, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/hamas-vergewaltigung-kriegswaffe-frauen-israel-100.html; 2.11.2023, Abrufdatum 6.11.2023.
Joffe, Tzvi: Photos of babies being burnt, decapitated confirmed. In: Website von The Jerusalem Post, https://www.jpost.com/breaking-news/article-767951; 12.10.2023, Abrufdatum 6.11.2023. - [2] Herrmann, Philipp: Vertrauen Sie uns – wir sind Terroristen! Eine Analyse der Propaganda der Hamas. Unveröffentlichte Studienarbeit, Hochschule Konstanz 2018.
- [3] Herrmann, Philipp: Vertrauen Sie uns – wir sind Terroristen! Eine Analyse der Propaganda der Hamas. Unveröffentlichte Studienarbeit, Hochschule Konstanz 2018. S. 18.