Was tun? Vor­schlä­ge für Gegenstrategien

Fas­sen wir zusam­men: Die Hamas setzt, anders als bis noch vor weni­gen Jah­ren, auf eine media­le Zur­schau­stel­lung ihrer Grau­sam­kei­ten gegen Zivi­lis­ten, um die israe­li­sche Gesell­schaft zu trau­ma­ti­sie­ren und zu ver­ängs­ti­gen. Damit macht sie sich in der west­li­chen Welt zwar unsym­pa­thisch, ihre Pro­pa­gan­da wird aber den­noch wei­ter geglaubt, da sie par­al­lel noch die alte Tak­tik wei­ter­führt – näm­lich die, ihre eige­ne Tyran­nei gegen das paläs­ti­nen­si­sche Volk als israe­li­sche Kriegs­ver­bre­chen umzu­deu­ten und so an unser mensch­li­ches Mit­ge­fühl zu appel­lie­ren. Tei­le der poli­ti­schen Lin­ken sowie pro­gres­si­ve Influen­cer und Jour­na­lis­ten hel­fen – mal bewusst, mal unbe­wusst – dabei mit, die Pro­pa­gan­da der Hamas weiterzuverbreiten.

Wel­che Mög­lich­kei­ten hat nun eine demo­kra­ti­sche Gesell­schaft, dem ent­ge­gen­zu­wir­ken? Wie zuvor erwähnt sind vor allem ara­bisch-mus­li­mi­sche Kol­lek­tiv­i­den­ti­tä­ten ein gro­ßer Fak­tor für anti­se­mi­ti­sche Radi­ka­li­sie­rung unter Jugend­li­chen; daher hat Anti­se­mi­tis­mus unter ara­bisch-mus­li­misch gepräg­ten Jugend­li­chen einen stär­ker israel­be­zo­ge­nen Cha­rak­ter als im Rest der Bevöl­ke­rung[18]. Der­ar­ti­ge Grup­pen­iden­ti­tä­ten gilt es auf­zu­bre­chen – nicht die Zuge­hö­rig­keit zu einer Reli­gi­on oder einer eth­ni­schen Her­kunft soll­te Maß des mora­li­schen Han­delns sein, son­dern Men­schen­rech­te und huma­nis­ti­sche Wer­te. Gleich­zei­tig stellt israel­be­zo­ge­ner Anti­se­mi­tis­mus auch unter Deut­schen ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund und ohne mus­li­mi­sche Prä­gung ein Pro­blem dar – aller­dings ist die­ser anders geprägt: So stellt eine Umfra­ge zu anti­se­mi­ti­schen Ein­stel­lun­gen in Deutsch­land fest, dass der deut­sche Anti­se­mi­tis­mus einen stär­ker geschichts­re­la­ti­vie­ren­den Cha­rak­ter hat[19]. Auch ein sol­cher Schuld­ab­wehr­re­flex kann aber dazu füh­ren, Isra­el zu dämo­ni­sie­ren, um die deut­sche Ver­gan­gen­heit zu rela­ti­vie­ren. Dem deut­schen wie dem ara­bisch-mus­li­mi­schen Anti­se­mi­tis­mus ist also gemein, dass Juden als Geg­ner der eige­nen Grup­pe ange­se­hen werden.

Dar­aus folgt, dass Grup­pen­iden­ti­tä­ten auf­ge­bro­chen wer­den müs­sen. Dazu gehört auch, den Aus­tausch zwi­schen sozia­len Grup­pen vor allem unter Jugend­li­chen stär­ker zu för­dern. Da anti­is­rae­li­sche Pro­pa­gan­da vor allem dadurch in allen Bevöl­ke­rungs­schich­ten so wirk­sam ist, dass sie Israe­lis als über­mäch­ti­ge, unbe­sieg­ba­re und unmensch­li­che Unter­drü­cker zeich­net[20], soll­te ein sol­cher Aus­tausch vor allem zum Ziel haben, die Mensch­lich­keit und Viel­falt israe­li­schen Lebens zu zei­gen: Das bes­te Mit­tel gegen anti­se­mi­ti­sche Ste­reo­ty­pe ist es, jüdi­sche und israe­li­sche Men­schen per­sön­lich in all ihrer Diver­si­tät ken­nen zu ler­nen. Schü­ler­aus­tausch­pro­gram­me und Gesprächs­run­den dürf­ten ein wirk­sa­mes Mit­tel sein. Das ist aller­dings ein lang­fris­ti­ger Pro­zess; kurz­fris­tig wären ande­re Tak­ti­ken wirk­sa­mer: Wür­de die Tyran­nei der Hamas gegen ihr eige­nes Volk stär­ker her­aus­ge­ar­bei­tet wer­den – etwa durch eine Auf­klä­rungs­kam­pa­gne –, könn­te sich die Soli­da­ri­tät mit den Paläs­ti­nen­sern gegen sie wen­den und sie somit als ver­meint­li­cher Ver­tre­ter des paläs­ti­nen­si­schen Vol­kes dele­gi­ti­miert wer­den. Wie eine sol­che Kam­pa­gne aus­se­hen könn­te, zeigt unter ande­rem die Film­rei­he »Whispe­red in Gaza«[21]: In der vom Cen­ter for Peace Com­mu­ni­ca­ti­ons ent­wi­ckel­ten Kurz­film­rei­he kom­men regime­kri­ti­sche Bewoh­ner Gazas in Inter­views zu Wort und berich­ten, wie die Paläs­ti­nen­ser unter der Poli­tik der Hamas lei­den. Die Fil­me wur­den mil­lio­nen­fach ange­se­hen und sogar von paläs­ti­nen­si­schen Medi­en im West­jor­dan­land gelobt. Der Erfolg des Pro­jekts lässt sich mit meh­re­ren Fak­to­ren erklä­ren: Die Stu­die »Vide­os gegen Extre­mis­mus? Coun­ter-Nar­ra­ti­ve auf dem Prüf­stand« kommt zu dem Schluss, dass per­sön­li­che Geschich­ten von Aus­stei­gern oder Betrof­fe­nen beson­ders über­zeu­gend wir­ken und bereit­wil­li­ger auf social media geteilt wer­den[22]; auch die Auf­be­rei­tung in fil­mi­schen For­ma­ten erhöht den Vira­li­täts­fak­tor[23].

Wer radi­ka­li­sie­rungs­ge­fähr­de­te Paläs­ti­na-Sup­port­er errei­chen will, muss Soli­da­ri­tät mit Paläs­ti­nen­sern schär­fer von der Feind­schaft gegen Isra­el tren­nen; so soll­te eine Auf­klä­rungs­kam­pa­gne das Leid der Paläs­ti­nen­ser unter dem Regime von Hamas und Fatah, aber auch in wenig beach­te­ten Gebie­ten wie dem Liba­non oder Jor­da­ni­en stär­ker beleuch­ten und anschlie­ßend der deut­lich bes­se­ren Men­schen­rechts­la­ge von Paläs­ti­nen­sern in Isra­el gegen­über­stel­len. Wie oben erwähnt, wer­den per­sön­li­che Geschich­ten von Betrof­fe­nen als beson­ders glaub­wür­dig emp­fun­den und auf social media häu­fi­ger geteilt; im Hin­blick auf die bereits ange­spro­che­ne stei­gen­de Popu­la­ri­tät von Men­schen­rechts-Influen­cern könn­te eine Kam­pa­gne also Hamas-kri­ti­sche social-media-Akti­vis­ten ara­bi­scher Her­kunft in den Mit­tel­punkt stel­len, die auch israe­li­sche Stim­men zu Wort kom­men las­sen und so den gegen­sei­ti­gen Aus­tausch för­dern. Gleich­zei­tig müs­sen die Betrei­ber der sozia­len Netz­wer­ke in die Pflicht genom­men wer­den: Es reicht nicht aus, gewalt­ver­herr­li­chen­de Inhal­te zu löschen; Meta & co. müs­sen Wege fin­den, wie extre­mis­ti­sche Inhal­te von den Algo­rith­men nicht mehr unter­stützt wer­den. Der Macht und Gewalt­be­reit­schaft der Hamas täte das natür­lich kei­nen Abbruch; der Wirk­sam­keit ihrer Pro­pa­gan­da in der west­li­chen Welt könn­ten der­ar­ti­ge Pro­jek­te aller­dings entgegenwirken.

  1. [18] Man­sel, Jür­gen, Spai­ser, Vik­to­ria: Sozia­le Bezie­hun­gen, Kon­flikt­po­ten­tia­le und Vor­ur­tei­le im Kon­text von Erfah­run­gen ver­wei­ger­ter Teil­ha­be und Aner­ken­nung bei Jugend­li­chen mit und ohne Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Bie­le­feld 2010, Uni­ver­si­tät Bie­le­feld, Tabel­len­an­hang, S. 6 u. 7; zitiert nach: Möl­ler, Kurt: Anti­se­mi­tis­mus bei Jugend­li­chen in Deutsch­land. For­men, Aus­ma­ße, Aus­prä­gun­gen und Begüns­ti­gungs­fak­to­ren. In: Lan­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung Baden-Würt­tem­berg (Hg.): Der Bür­ger im Staat. Aus­ga­be 4-2013: Anti­se­mi­tis­mus heu­te. Stutt­gart 2013. S. 264. 
  2. [19] o. A., o. J: Bezugs­feld Nah­ost. Anti­se­mi­tis­mus unter Mus­li­men. In: Web­site von Cice­ro, https://www.cicero.de/innenpolitik/antisemitismus-unter-muslimen/51791; Abruf­da­tum: 5.6.2018.
  3. [20] Mül­ler, Jochen: Isla­mis­mus, Anti­se­mi­tis­mus und die Rol­le des Nah­ost­kon­flikts. Zwi­schen Ber­lin und Bei­rut – Anti­se­mi­tis­mus bei Jugend­li­chen ara­bi­scher, tür­ki­scher und/oder mus­li­mi­scher Her­kunft. In: Lan­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bil­dung Baden-Würt­tem­berg (Hg.): Der Bür­ger im Staat. Aus­ga­be 4-2013: Anti­se­mi­tis­mus heu­te. Stutt­gart 2013. S. 303—310.
  4. [21] Schei­ner, Andre­as: Whispe­red in Gaza: Das Pro­blem ist Hamas, nicht Isra­el. Web­site der Neu­en Zür­cher Zei­tung: https://www.nzz.ch/feuilleton/whispered-in-gaza-das-problem-ist-hamas-nicht-israel-ld.1732447 (31.3.2023, 4.30 Uhr; Abruf­da­tum: 1.11.2023).
  5. [22] Frisch­lich, Lena; Rie­ger, Dia­na; Mor­ten, Anna; Ben­te, Gary (Hg.) in Koope­ra­ti­on mit der For­schungs­stel­le Ter­ro­ris­mus / Extre­mis­mus (FTE) des Bun­des­kri­mi­nal­amts: Vide­os gegen Extre­mis­mus? Coun­ter-Nar­ra­ti­ve auf dem Prüf­stand. Wies­ba­den 2017. S. 121, 211, 212, 222, 266. 
  6. [23] a. a. O., S. 215.