Essay

Schöne neue Welt?

Chancen und Herausforderungen der virtuellen Realität

Von Rainer Wiest


Irgend­wann zwi­schen Pla­tons Höh­len­gleich­nis und dem iko­ni­schen Holo­deck aus Gene Rod­den­ber­rys Sci­ence-Fic­tion-Epos »Star Trek« muss uns klar gewor­den sein, dass es nur eine Fra­ge der Zeit sein wür­de, bis man selbst in eine ande­re, vir­tu­el­le Rea­li­tät abtau­chen kann. Und nun ist es end­lich soweit, zumin­dest zum Teil. Nach Jahr­zehn­ten der For­schung und Ent­wick­lung ist die vir­tu­el­le Rea­li­tät mehr oder weni­ger real gewor­den. Und auch wenn wir noch ein gan­zes Stück davon ent­fernt sind, mit allen Sin­nen in eine alter­na­ti­ve Wirk­lich­keit ein­tau­chen zu kön­nen, ist der Grund­stein gelegt, und das Ergeb­nis als sol­ches ist beeindruckend. 

Laut Bernd Stei­ni­cke, Pro­fes­sor für Mensch-Com­pu­ter Bezie­hun­gen an der Uni­ver­si­tät Ham­burg, sind immer­hin welt­weit rund 10 Mil­lio­nen Men­schen im Besitz irgend­ei­ner Art von 3D-Bril­le.[1] Wäh­rend sich auf dem Con­su­mer­markt bis jetzt eher die ver­hält­nis­mäs­sig unspek­ta­ku­lä­ren, jedoch kos­ten­güns­ti­gen Smart­phone-VR-Bril­len um die Gunst des Kun­den strei­ten, deren momen­ta­ner Erfolg wohl am ehes­ten auf den Reiz des Neu­en und die aggres­si­ve Ver­mark­tung zurück­zu­füh­ren ist und die im End­ef­fekt nicht mehr sind als eine Han­dy­hal­te­rung mit pas­sen­der Appli­ka­ti­on, sind bei den Enthu­si­as­ten die deut­lich höher­prei­si­gen VR-/MR-Bril­len der Fir­men Ocu­lus, Micro­soft und HTC gefragt. Auf den Trend, der durch die Ankün­di­gun­gen der ers­ten Pro­to­ty­pen im Jahr 2013 einen regel­rech­ten Hype aus­lös­te und damit sei­nen Anfang nahm, folgt jedoch wie­der ein wenig Ernüch­te­rung – zu begrenzt sind die Ein­satz­mög­lich­kei­ten der teu­ren Hard­ware, zu wenig Soft­ware ist momen­tan dafür vor­han­den. Den­noch las­sen die Her­stel­ler nichts unver­sucht. Vir­tu­al- und Mixed-Rea­li­ty sol­len Bestand­teil unse­res All­tags wer­den, dar­über ist sich die Bran­che einig. Bemerk­bar macht sich dies vor allem durch die ver­mehr­ten Pro­dukt­an­kün­di­gun­gen von güns­ti­ge­ren Dritt­her­stel­lern sowie Sub­ven­tio­nen durch Fir­men und sogar durch öffent­li­che Einrichtungen.

Inter­es­sant ist aber vor allem der zukünf­ti­ge Umgang mit dem neu­en Medi­um abseits der offen­sicht­li­chen Anwen­dungs­zwe­cke wie in etwa Com­pu­ter­spie­len, denn durch die­se tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung wird dem Nut­zer auch eine neue Art der Inter­ak­ti­on mit dem PC erlaubt. 

Gera­de im Bezug auf Bar­rie­re­frei­heit hal­ten VR-Bril­len eine Men­ge Poten­ti­al bereit. So kann der Cur­sor mit­tels der in der Bril­le ver­bau­ten Gyro­sen­so­ren schon mit den leich­tes­ten Kopf­be­we­gun­gen gesteu­ert wer­den und so Ein­ga­be­me­tho­den durch Tas­ta­tur und Maus obso­let wer­den las­sen. In Kom­bi­na­ti­on mit einer pas­sen­den Eye-Track­ing-Peri­phe­rie sind zudem nicht ein­mal mehr Kopf­be­we­gun­gen nötig, um die Bril­le zu steu­ern; die Soft­ware inter­pre­tiert anhand der Blick­rich­tung wohin der Benut­zer gera­de schaut. Die Vor­tei­le die­ser tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lung lie­gen dabei auf der Hand, erleich­tern sie Per­so­nen mit ein­ge­schränk­tem Inter­ak­ti­ons­ver­mö­gen nicht nur die Bedie­nung, son­dern erlau­ben ihnen auch alle erdenk­li­chen Arten von Inter­ak­ti­on, vom vir­tu­el­len Auto­rennen bis zum Über­flie­gen der Erde. Der Phan­ta­sie sind hier nur durch unse­re tech­ni­schen Ein­schrän­kun­gen im Soft­ware­be­reich Gren­zen gesetzt - und derer sind nicht viele.