Ausgabe Nr. 23, Herbst 2023: Essay

Hamas – Terrorpropaganda im Wandel

Visuell-rhetorische Strategien wurden neu aufgestellt

Von Philipp Herrmann


Die Hamas hat einen Angriff auf Isra­el gestar­tet, der in der Geschich­te des Lan­des bis­her ein­ma­lig ist. Doch der Ter­ror der Paläs­ti­nen­ser­or­ga­ni­sa­ti­on beschränkt sich nicht nur auf phy­si­sche Gewalt: Hin­ter den Angrif­fen steckt eine per­fi­de Pro­pa­gan­da­stra­te­gie, die mit den Mecha­nis­men der sozia­len Medi­en spielt – und die sich in den letz­ten Jah­ren auf über­ra­schen­de Wei­se gewan­delt hat. Auch mit der neu­en Tak­tik schaf­fen es die Isla­mis­ten, aus­ge­rech­net ein links-pro­gres­si­ves west­li­ches Publi­kum erfolg­reich zu manipulieren.

Seit dem Holo­caust wur­den nicht mehr so vie­le Juden an einem Tag ermor­det wie am 7. Okto­ber 2023. Selbst für die Maß­stä­be Isra­els, eines von regel­mä­ßi­gen Angriffs­krie­gen geschüt­tel­ten Staa­tes, ist die Bru­ta­li­tät, mit der die Hamas zuschlug, bei­spiel­los. Nicht nur die Zahl der Opfer scho­ckiert, son­dern auch die Art und Wei­se, wie die Ter­ro­ris­ten vor­gin­gen: 1400 Men­schen wur­den ermor­det, 260 davon star­ben bei einem Mas­sa­ker auf einem Tech­no-Fes­ti­val, über 240 Zivi­lis­ten wur­den als Gei­seln genom­men, Frau­en und Kin­der öffent­lich ver­ge­wal­tigt, die Lei­chen geschän­det und in Para­den durch die Stra­ßen Gazas gezo­gen, Babys ent­haup­tet, Men­schen bei leben­di­gem Leib ver­brannt und Vide­os der Taten online gestellt.[1] Es ist vor allem die­se lüs­ter­ne media­le Zur­schau­stel­lung der Ver­bre­chen, die einen Bruch in der bis­he­ri­gen Selbst­in­sze­nie­rung der Hamas mar­kiert: Noch bis zum letz­ten Gaza-Krieg 2021 ver­such­te sich die Orga­ni­sa­ti­on trotz ihrer offen­sicht­li­chen Ter­ror­ak­te als Anwalt der Unter­drück­ten dar­zu­stel­len. Auf den eng­lisch­spra­chi­gen social-media-Kanä­len und Web­sites der Isla­mis­ten domi­nier­te eine Bild­rhe­to­rik und Wort­wahl, die das Bild einer schein­bar seriö­sen poli­ti­schen Par­tei zeich­ne­te, die das Leid der paläs­ti­nen­si­schen Bevöl­ke­rung doku­men­tier­te und zu mil­dern such­te. So ver­such­te die Hamas, sich die Soli­da­ri­tät einer dis­kri­mi­nie­rungs­sen­si­blen Öffent­lich­keit und damit auch finan­zi­el­le Unter­stüt­zung durch NGOs und staat­li­che Hilfs­gel­der zu sichern. Die­ser Fokus auf die Ethos-Ebe­ne hat sich mit dem aktu­el­len Angriff jäh ins Gegen­teil ver­kehrt: Anstatt das Image von men­schen­freund­li­chen Frei­heits­kämp­fern zu ver­mit­teln, inves­tiert die Hamas nun gro­ße Arbeit in die media­le Ver­brei­tung ihrer Gräu­el­ta­ten. Wie kam es zu die­sem Wandel?

Wir sind die Guten: Wie die Hamas einst um Ver­trau­en warb

Ein Blick zurück: In der Anfang 2018 abge­schlos­se­nen Arbeit »Ver­trau­en Sie uns – Wir sind Ter­ro­ris­ten!«[2] wur­de die Medi­enstra­te­gie der Hamas ana­ly­siert. Dafür wur­den meh­re­re Mona­te lang alle social-media-Kanä­le der Orga­ni­sa­ti­on, ihrer Tocht­er­or­ga­ni­sa­tio­nen, ihrer Nach­rich­ten­agen­tu­ren und Fern­seh­sen­der sowie die dazu­ge­hö­ri­gen exter­nen Web­sites beob­ach­tet, das gepos­te­te Bild­ma­te­ri­al gesam­melt und die Unter­schie­de zwi­schen den Kanä­len ver­gli­chen. Das Ergeb­nis in Kurz­form: Die Pro­pa­gan­da der Hamas ziel­te zum dama­li­gen Zeit­punkt dar­auf ab, das Publi­kum schritt­wei­se zu radi­ka­li­sie­ren. Erst soll­te bei einer brei­ten Öffent­lich­keit durch emo­tio­na­le Rhe­to­rik Empa­thie für das paläs­ti­nen­si­sche Volk erzeugt, anschlie­ßend die Hamas als legi­ti­mer, ver­trau­ens­wür­di­ger Ver­tre­ter der Paläs­ti­nen­ser prä­sen­tiert und erst im drit­ten Schritt der bewaff­ne­te Kampf gegen Isra­el als logi­scher Schluss aus den vor­he­ri­gen Punk­ten prä­sen­tiert wer­den. Anders als in der aktu­el­len Situa­ti­on durf­te paläs­ti­nen­si­sche Gewalt gegen Isra­el einem brei­ten, inter­na­tio­na­len Publi­kum nicht gezeigt wer­den; Paläs­ti­nen­ser soll­ten zunächst nur als Opfer, nie als Täter dar­ge­stellt wer­den, um Sym­pa­thie zu wecken. Tei­le die­ser Tak­tik nutzt die Hamas noch immer, ande­re hat sie radi­kal verworfen.

Die Vor­ge­hens­wei­se der Stu­die sah wie folgt aus: Alle Bil­der, die die Pro­pa­gan­da­ab­tei­lung der Hamas im unter­such­ten Zeit­raum online pos­te­te, wur­den gesam­melt und nach Kanä­len geord­net. Häu­fig wie­der­keh­ren­de Moti­ve wur­den mit Namen ver­se­hen (zum Bei­spiel »Hamas-Demons­tra­ti­on« oder »glo­ri­fi­zier­te Mär­ty­rer­dar­stel­lung«) und gezählt. Anschlie­ßend wur­de aus­ge­wer­tet, auf wel­chem Kanal wel­che Bild­mo­ti­ve wie oft vor­ka­men: So kam das Motiv »ver­letz­tes paläs­ti­nen­si­sches Kind« auf man­chen Kanä­len häu­fi­ger vor als das Motiv »Hamas-Poli­ti­ker bei Kon­fe­renz oder Staats­be­such«, das Motiv »bewaff­ne­ter Ter­ror­kämp­fer« kam auf man­chen Kanä­len gar nicht vor, auf ande­ren wie­der­um sehr häu­fig. Auch die Unter­schie­de in den bild­li­chen Dar­stel­lun­gen von Israe­lis und Paläs­ti­nen­sern wur­den mit­ein­an­der ver­gli­chen; dabei wur­de unter­sucht, in wel­chen Rol­len, Iden­ti­tä­ten und Situa­tio­nen die bei­den Per­so­nen­grup­pen jeweils gezeigt wur­den – und wie sich die­se Dar­stel­lun­gen von Kanal zu Kanal unter­schie­den. Zum Schluss wur­den die Ergeb­nis­se sta­tis­tisch aus­ge­wer­tet, um her­aus­zu­fin­den, ob unter­schied­li­che Kanä­le unter­schied­li­che Zie­le ver­folg­ten – und ob dahin­ter ein Sys­tem steckte.

In den Ergeb­nis­sen ließ sich ein drei­stu­fi­ger Radi­ka­li­sie­rungs­plan erken­nen[3]: Auf der ers­ten Stu­fe wur­den unwis­sen­de social-media-Nut­zer von unver­däch­tig erschei­nen­den Accounts abge­holt. Eng­lisch­spra­chi­ge Nach­rich­ten­sei­ten, auf denen der Name »Hamas« nicht auf­tauch­te, pos­te­ten Bil­der und News, die auf die Emo­tio­nen der Nut­zer abziel­ten: Fotos von ver­letz­ten paläs­ti­nen­si­schen Kin­dern, auf­ge­lös­ten Demos in der West­bank, fest­ge­nom­me­nen paläs­ti­nen­si­schen Jugend­li­chen sowie Fami­li­en, die ein­an­der nach der Frei­las­sung aus israe­li­schen Gefäng­nis­sen wie­der in die Arme schlos­sen (s. Abb. 1).

Abbildung 1: Das Hamas-geführte Palestine Info Center nutzte oft Bilder von leidenden palästinensischen Kindern, um Israel als Aggressor darzustellen.

Abbil­dung 1: Das Hamas-geführ­te Pal­es­ti­ne Info Cen­ter nutz­te oft Bil­der von lei­den­den paläs­ti­nen­si­schen Kin­dern, um Isra­el als Aggres­sor darzustellen.


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