Essay

Markenmärchen

Die Erzählung im Dienste der Unternehmenskommunikation

Von Mareike Riemann


Phil­ips trägt ein Licht in die Welt[1], Coca Cola sieht Lie­be statt Hass[2], und Ama­zon betet für Akzep­tanz[3].

Abb. 1: Die Sequenz aus dem Coca Cola Wer­be­spot »Was uns zusam­men­bringt« insze­niert die Mar­ke als kul­tu­rel­len Botschafter.

Immer mehr Mar­ken nut­zen Erzäh­lun­gen, um unter­neh­mens­be­zo­ge­ne Inhal­te zu kom­mu­ni­zie­ren und – was noch wich­ti­ger scheint – um sich zu profilieren.

Schmack­haf­te Köder: Die Anzie­hungs­kraft der Erzählung

Schon immer ver­sam­mel­te sich die Gesell­schaft einer Cock­tail­par­ty um jene Gäs­te, die es ver­stan­den, eine gute Geschich­te zu erzäh­len. Unter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on funk­tio­niert im Grun­de ähn­lich: Jede Mar­ke will der Star der Par­ty sein. Denn die­sen Aus­er­wähl­ten wird eine zen­tra­le sowie sozia­le Wäh­rung zu Teil: Auf­merk­sam­keit! Und Erzäh­lun­gen schei­nen genau das Mit­tel zu sein, um sich die­se begrenz­te Res­sour­ce zu sichern. Aber wie­so üben Erzäh­lun­gen die­se magi­sche Anzie­hungs­kraft auf uns aus? 

Eine mög­li­che Erklä­rung dafür sieht die Psy­cho­lo­gie im »Eska­pis­mus«. Dem­nach lesen, schau­en oder hören wir Erzäh­lun­gen, um uns von eige­nen Pro­ble­men abzu­len­ken und um dem All­tag zu ent­flie­hen. Auch der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­ler Jona­than Cohen argu­men­tiert, dass der Wunsch, in die erzähl­te Welt ein­zu­tau­chen (neben einer star­ken Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Prot­ago­nis­ten), der zen­tra­le Grund dafür sei, dass wir eini­ge Bücher immer wie­der lesen, eini­ge Fil­me immer wie­der schau­en.[4]

Wir betre­ten eine uns frem­de, kon­stru­ier­te Rea­li­tät, in der Hoff­nung, dort eine hei­le Welt vor­zu­fin­den. Es scheint, dass wir nur all zu gern dem wei­ßen Kanin­chen fol­gen. Doch schon Ali­ces Auf­ent­halt im Wun­der­land arte­te ziem­lich bald in Stress aus, und uns als Rezi­pi­ent ergeht es nicht anders. Nicht nur Lewis Car­roll lässt durch­bli­cken, dass das mit der hei­len Welt so eine Sache ist. Auch Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Jona­than Gott­schall zwei­felt dar­an, dass blo­ßer Eska­pis­mus der Grund für unse­re wag­hal­si­gen, gedank­li­chen Aus­flü­ge ist: »Con­sider the plot­li­nes found in children’s play­ti­me, day­d­reams and novels. The nar­ra­ti­ves can‘t be explai­ned away as esca­pism to a more blissful rea­li­ty. If that were their pur­po­se, they would con­tain more plea­su­re. Ins­tead they‘re hor­ror­s­capes. They bubble with con­flict and strugg­le.«[5] Wir stel­len fest: Eine erzähl­te Welt ist kei­ne hei­le Welt. Umso mehr stellt sich die Fra­ge, war­um wir in die­se Par­al­lel­wel­ten ein­tau­chen wol­len, wenn unse­re Pro­ble­me uns dort­hin fol­gen, sich dort sogar neue für uns auftun. 

»Enter­tain­ment!«, echot es da neu­deutsch aus der Medi­enecke; wie über­haupt alles in einer post­fak­ti­schen Gesell­schaft im Zei­chen des »Enter­tain­ment« zu ste­hen scheint. Und ganz von der Hand zu wei­sen ist es nicht. Doch wie so oft steckt der Teu­fel im Detail, in die­sem Fall in der Defi­ni­ti­on des Begrif­fes. Eine sol­che lie­fert der Dreh­buch­au­tor Robert McKee in sei­nem Stan­dard­werk: »Unter­hal­tung ist, im Dun­keln zu sit­zen, auf die Lein­wand zu bli­cken und enor­me Kon­zen­tra­ti­on und Ener­gie in das zu inves­tie­ren, was so hofft man, eine befrie­di­gen­de, bedeut­sa­me emo­tio­na­le Erfah­rung sein wird.«[6] Die­se Defi­ni­ti­on lässt erah­nen, dass Unter­hal­tung nicht mit Spaß gleich­zu­set­zen ist. Im Gegen­teil. Auch eine tra­gi­sche Geschich­te kann uns unter­hal­ten – sprich: uns eine emo­tio­na­le Erfah­rung machen lassen. 

Tat­säch­lich bestä­tigt die Psy­cho­lo­gie das Sam­meln von Erfah­run­gen als einen zen­tra­len Nut­zen von Erzäh­lun­gen für das Indi­vi­du­um. Sie fand her­aus, dass wir, beim Rezi­pie­ren einer Geschich­te, unter­be­wusst einen »Erfah­rungs­ab­gleich« star­ten. Zum einen glei­chen wir das Gesche­hen einer Erzäh­lung mit unse­ren per­sön­li­chen Erfah­run­gen ab. Zum ande­ren eröff­nen sich uns alter­na­ti­ve Hand­lungs­op­tio­nen. Wir ler­nen durch das Han­deln des Prot­ago­nis­ten neue Ver­hal­tens­mus­ter ken­nen und wer­den gleich­zei­tig auf Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven auf­merk­sam gemacht. Wir müs­sen also nicht alle Feh­ler selbst bege­hen, um aus ihnen zu ler­nen. Die Psy­cho­lo­gie spricht in die­sem Zusam­men­hang pas­sen­der Wei­se vom »Stell­ver­tre­ter­ler­nen«. Ein drit­ter psy­cho­lo­gi­scher Pro­zess, der beim Erle­ben einer Geschich­te abläuft, wird »Kon­tex­tua­li­sie­rung« genannt. Er beschreibt die Fähig­keit, aus Erzäh­lun­gen Erkennt­nis­se über unse­re per­sön­li­chen Bedürf­nis­se, Zie­le etc. abzu­lei­ten.[7] Sie zu kon­su­mie­ren, egal in wel­cher Form, för­dert die Selbst-Refle­xi­on und unse­re per­sön­li­che Ent­wick­lung. Anhand von Geschich­ten ler­nen wir uns dem­nach selbst bes­ser kennen. 


Doppelausgabe Nr. 16 und 17, Herbst 2020

Datenschutz-Übersicht
Sprache für die Form * Forum für Design und Rhetorik

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.

Unbedingt notwendige Cookies

Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.