2 Die Fra­ge nach der Wissenschaft

Mas­ter­stu­den­ten des Kom­mu­ni­ka­ti­ons­de­sign haben bereits einen ers­ten aka­de­mi­schen Abschluss erwor­ben, ihr Erst­stu­di­um war aller­dings in der Regel – je nach Stu­di­en­ort mit unter­schied­li­chen Schwer­punk­ten – ein künst­le­risch-gestal­te­ri­sches Stu­di­um. Wis­sen­schaft­li­che Fächer spiel­ten dar­in zwar durch­aus auch eine Rol­le, zumeist aber eine nach­ge­ord­ne­te, pri­mär geht es in Gestal­tungs­stu­di­en­gän­gen eben dar­um, gestal­te­ri­sche Fer­tig­kei­ten anwen­dungs­ori­en­tiert zu ent­wi­ckeln und das zuge­hö­ri­ge Fach­wis­sen zu erwer­ben. In einem Stu­di­en­fach wie Kom­mu­ni­ka­ti­ons­de­sign, das sich in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten stark aus­ge­wei­tet hat, bedeu­tet das bereits sehr viel: Frü­her beka­men Stu­den­ten deut­lich mehr Stu­di­en­zeit ein­ge­räumt, um »nur« gute Gra­fik­de­si­gner zu wer­den; heu­te sol­len sie Edi­to­ri­al, Web und Inter­face Design, Szen­o­gra­fie und vie­les mehr in einem kür­ze­ren Stu­di­um beherr­schen ler­nen. Inso­fern kann es nicht ver­wun­dern, wenn Kom­mu­ni­ka­ti­ons­de­sign-Bache­lors nicht auch noch ver­tief­te wis­sen­schaft­li­che Kennt­nis­se vor­wei­sen kön­nen, sei­en sie nun theo­re­ti­scher oder metho­di­scher Natur. Und es kann eben­so wenig ver­wun­dern, dass sie für ihre Dis­zi­plin über kei­nen Wis­sen­schafts­be­griff verfügen.

Um dem abzu­hel­fen, mach­ten wir die Stu­den­ten mit einer ver­gleichs­wei­se leicht ver­ständ­li­chen Wis­sen­schafts­theo­rie ver­traut, näm­lich der von Karl R. Pop­per, und zeig­ten ihnen, dass und wie sich Pop­pers Wis­sen­schafts­auf­fas­sung auf Kom­mu­ni­ka­ti­ons­de­sign, wenn man es denn wis­sen­schaft­lich ange­hen möch­te, über­tra­gen lie­ße. Die­se Über­le­gun­gen wird Vol­ker Fried­rich gele­gent­lich in einem geson­der­ten Essay in »Spra­che für die Form« zur Debat­te stel­len. In Kür­ze sei gesagt: Der Hypo­the­se in ande­ren Dis­zi­pli­nen ent­spricht im Design der Ent­wurf. Auf wel­chen krea­ti­ven Wegen der Desi­gner zu sei­nem Ent­wurf kommt, ist in Fried­richs Über­le­gun­gen für die Fra­ge nach der Wis­sen­schaft­lich­keit uner­heb­lich, das kann und soll der Gestal­ter hal­ten, wie er mag. Wer­den aber die mit einem Ent­wurf ver­bun­de­nen Wir­kungs­ab­sich­ten erklärt, ist ableit­bar, wann der Ent­wurf in Tei­len oder in Gän­ze fehl­ge­hen könn­te; somit wäre das ent­schei­den­de Wis­sen­schaft­lich­keits­kri­te­ri­um, die Fal­si­fi­zier­bar­keit, auch im Design erfüll­bar. Fal­si­fi­ziert wäre ein Ent­wurf dann, wenn die beab­sich­tig­ten Wir­kun­gen nicht ein­tre­ten. Dies dürf­te im Regel­fall dann ein­tre­ten, wenn die ein­ge­setz­ten Wirk­mit­tel, die Gestal­tungs­mit­tel nicht zu den Wir­kungs­ab­sich­ten pas­sen, also nicht in einem ange­mes­se­nen Ver­hält­nis zu der Wir­kungs­ab­sich­ten ste­hen. In Fried­richs Über­le­gun­gen wird also die Pop­per­sche Wis­sen­schafts­theo­rie für das Kom­mu­ni­ka­ti­ons­de­sign mit rhe­to­ri­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mo­del­len (Wir­kungs­ab­sicht – Wirk­mit­tel – Wir­kung) ver­knüpft und dem aptum (dem inne­ren wie dem äuße­ren), also der Ange­mes­sen­heit, dabei eine zen­tra­le Rol­le zuge­wie­sen. Die Ange­mes­sen­heit der gestal­te­ri­schen Mit­tel muss in Bezug auf die Sache (inne­res aptum), in Bezug auf die Umstän­de wie die his­to­ri­sche Situa­ti­on oder die sozia­le Zusam­men­set­zung des Publi­kums (äuße­res aptum) sowie hin­sicht­lich der Wir­kungs­ab­sich­ten (äuße­res aptum) erreicht werden.

Hat es über­haupt einen Sinn, jun­ge Gestal­ter mit Fra­gen der Theo­rie, der Wis­sen­schaft und For­schung ver­traut zu machen? Sie, die jun­gen Gestal­ter selbst äußern oft skep­tisch die Fra­ge, ob sich eine Beschäf­ti­gung mit der­lei Fra­gen nicht ihrer Krea­ti­vi­tät in den Weg stel­len kann. Hin­ter die­ser Skep­sis ste­cken zumeist Unwis­sen­heit und Ängs­te, die wir als Pro­fes­so­ren ernst neh­men und abbau­en soll­ten. Fol­gen­der Gedan­ken­gang lässt sich bei­spiels­wei­se gegen die­se Skep­sis stel­len: Leo­nar­do da Vin­ci wird der Satz »Stets muss die Pra­xis auf guter Theo­rie beru­hen« zuge­schrie­ben. Da Vin­ci, den man gewiss als krea­ti­ven Gestal­ter anse­hen darf, war offen­sicht­lich ein Freund davon, die Pra­xis durch eine Theo­rie zu unter­füt­tern, zu berei­chern und zu fes­ti­gen, und er sah dar­in offen­sicht­lich kei­nen Angriff auf die Krea­ti­vi­tät des Prak­ti­kers. Zudem hielt er, wie ein wei­te­res, ihm zuge­schrie­be­nes Zitat belegt, die Wis­sen­schaft für einen wich­ti­gen Part­ner einer gelun­ge­nen Pra­xis: »Die­je­ni­gen, wel­che an der Pra­xis ohne Wis­sen­schaft gefal­len fin­den, sind wie Schif­fer, die ohne Steu­er und Kom­pass fah­ren.« Einen bes­se­ren Kron­zeu­gen dafür, dass Pra­xis durch Theo­rie und Wis­sen­schaft erst auf eine gute Grund­la­ge gestellt wird, lässt sich kaum fin­den. Außer­dem ist Leo­nar­do da Vin­ci einer der unzäh­li­gen Bele­ge dafür, dass Krea­ti­vi­tät und Den­ken nicht in Oppo­si­ti­on zuein­an­der ste­hen, son­dern ein­an­der inspi­rie­ren, beflü­geln, vor­an­brin­gen und die Pra­xis erst zur Blü­te bringen.

3 Visu­el­le Rhe­to­rik von Wahlplakaten

Zu der Dis­kus­si­on wis­sen­schafts­theo­re­ti­scher Fra­gen gesell­ten sich als Grund­la­ge für unser stu­den­ti­sches Pro­jekt der Design­wir­kungs­for­schung eine Rei­he von Vor­über­le­gun­gen aus der Rhe­to­rik. Tei­le die­ser Vor­über­le­gun­gen hat Vol­ker Fried­rich in einem Essay einer frü­he­ren Aus­ga­be von »Spra­che für die form« ange­führt.[1]

Vor­aus­ge­setzt wur­de in dem Pro­jekt: Die Gestal­tung eines Wahl­plakates hat eine Wir­kung. Unklar dar­an ist: Wel­che Wir­kung ent­fal­tet die Gestal­tung dabei wie? Wie lie­ße sich die­se Gestal­tungs­wir­kung er­forschen? Wie trägt Design zur ­Per­suasion, zur Über­zeu­gung der Rezi­pi­en­ten bei? Dar­an schließt sich die span­nen­de Fra­ge an: Wie kön­nen Gestaltungs­mittel ein­ge­setzt wer­den, um eine Argu­men­ta­ti­on zu stüt­zen?[2]

Von zen­tra­ler Bedeu­tung ist für eine Design­wir­kungs­for­schung der Begriff »Wir­kung«[3]. Wie Kom­mu­ni­ka­ti­on wirkt, ist eine zen­tra­le Fra­ge der Rhe­to­rik. Wirkungs­absichten, Wirk­mit­tel und Wir­kung auf Publi­kum und Rezi­pi­en­ten wer­den als ein wech­sel­sei­ti­ger Zu­sammenhang ­gese­hen, der auf Per­sua­si­on, Über­zeu­gung zielt, also Mei­nungs- oder Ein­stel­lungs­ver­än­de­run­gen her­vor­ru­fen will. Dabei ­kön­nen Argu­men­te eben­so ein­gesetzt wie Affek­te erregt wer­den. ­Genau in die­sem Sin­ne ­ver­suchen Gestal­ter mit gestal­te­ri­schen Mit­teln Wir­kung her­vor­zu­ru­fen, zu ­über­zeugen, Mei­nungs- oder Ein­stel­lungs­ver­än­de­run­gen aus­zu­lö­sen, Impul­se zu wecken und Nut­zer­ver­hal­ten zu steuern.