Als junger Mensch hat Loos in Amerika gearbeitet, nicht nur als Architekt (was er sicher gern getan hätte), sondern als Gelegenheitsarbeiter, um sich die nötigen Dollars zu verdienen: als Tellerwäscher (also fast die legendär-klassische US-Karriere), als Maurer, als Parkettleger, als Behelfs-Handwerker also, und auf diese Weise, sagt Loos, habe er mehr lernen können als an jeder Hochschule Europas; und vielleicht rührt daher seine bissige Bemerkung, ein Architekt sei nichts weiter als ein Maurer, der Latein gelernt habe. In Amerika, und das hat er sein Leben lang nicht vergessen – in Amerika erlebt er den Architekten (natürlich nicht nur den Architekten) als praktisch denkenden Menschen, dem die Arbeit am Gegenstand wichtiger ist als jede Herleitung dieser Arbeit aus der Verkleisterung – so sagt er es – und mit den Mitteln der Kunst, was ja damals, vor dem ersten Weltkrieg, als Nachwirkung der Pariser »École des beaux-arts« durchaus Usus war, und so brachten ihn die Folgen solchen Tuns, eben die Verkleisterung, das Überziehen einer klaren Form mit aufgeklebtem Dekor, mit Plüsch und Plunder (und damit meint er das falsch angewendete Ornament und nicht das Ornament an sich – darum eben Ornament und Verbrechen und nicht … ist Verbrechen) – brachte ihn also die Verkleisterung, mithin jedes hohle Ornament, jede Art von – na ja, von Konjunktur-Kitsch in Rage, und er kämpfte dagegen solange er lebte: mit seinen Schriften, die in den Bestsellern Trotzdem, Ins Leere gesprochen und Die potemkische Stadt erschienen und die immer noch in neuen Auflagen zu haben sind; seine gesammelten Aufsätze, die zumeist in vielgelesenen Wiener und Berliner Zeitungen abgedruckt waren, und die – auch heute noch – aktuell sind, äußerst aggressiv (wie gesagt), geistreich und äußerst provozierend, und die das auch sein sollten.
Loos war ein Querkopf, besser: ein Querdenker, und ich meine, dieses Überkritische sieht man seiner Physiognomie auch an; dieses Misstrauen allem gegenüber, besonders den eingefahrenen, den gewohnten Konventionen. Die Konventionen und die dazugehörigen Routine-Moralisten haßte er geradezu, und dieser Haß schlägt sich in seinen Artikeln nieder: kurz, knapp und mitten ins Herz treffend. Er sieht die Wiener Gesellschaft (die damalige), er sieht das Verlogene der Umwelt, in der sie lebt, sieht ihre überladenen Wohnungseinrichtungen im Makart-Stil, ihre bombastischen Möbel, und er formuliert kurz und bündig: »Je ordinärer die Familie, desto pompöser und reicher das Buffet«, und man kann sich vorstellen, wie die haute volée empört reagierte; und in einem Zeitungsartikel kurz darauf gibt er einem Text den Titel: Eine Schrift zur Einführung der abendländischen Kultur in Österreich, was (bedenken Sie das Jahr: 1899!) – was als eine Unverschämtheit, als dreiste Beleidigung des Nationalstolzes angesehen wurde – ausgerechnet Österreich, wo man doch geradezu als Repräsentant dieser Kultur unter der Sonne Habsburgs sich wohlig zu wärmen gewohnt war.
Loos stand zum Handwerk (zum wirklichen Handwerk), wehrte sich gegen jede Art von scheinbarem, aufgepfropften Künstlertum, und er publiziert eine kurze Begebenheit, wie ein Hochschulprofessor immer wieder versucht, einem gestandenen, erfahrenen Handwerker (einem alten Sattlermeister) von seinen, von ihm entworfenen neuen Formen zu überzeugen (und der die alten, bewährten als phantasielos bezeichnete), bis es dem Sattler zuviel wurde und er sich widersetzte: »Herr Professor, wenn ich so wenig vom Reiten, von Pferden, vom Leder, von der Arbeit des Sattlers verstehen würde wie Sie, dann hätte auch Ihre Phantasie von neuer Form«, und man kann sich wieder vorstellen, wie die Betroffenen in den altehrwürdigen Fakultäten reagiert haben.
»Alle Architekten sind Verbrecher«, stellt Loos lakonisch fest, weil diese Verbrecher nur nach Neuem um des Neuen willen strebten, um sich in ihrer Eitelkeit sonnen zu können, und die nicht das Neue suchten, um damit dem zu dienen, für den die Architektur da sei, dem Menschen; die Papagenos der Architektur, die sich aufplustern, um einem – ja: einem fast schon berufstypischen Zwang zu artistischer Architektur nachzugeben, »so recht gemacht, um der Masse mit sich selbst zu imponieren«, wie es (mein Bildungsalibi) – wie es Goethe einmal formuliert hat; man braucht sich ja beispielsweise im aktuellen Frankfurter Hochhaus-Zirkus nur einmal um die eigene Achse zu drehen oder die Münchner Hochseil-Nummer der BMW-Welt auf sich einwirken zu lassen: die dort präsentierten Autos nehmen sich dagegen ja geradezu dörflich aus; Bauten geboren aus einem alles beherrschenden Willen zu dröhnender Originalität, die – nach Loos – nichts mit Architektur zu tun hat, sondern ihr geradezu widerspricht.
Architektur? Loos erklärt ihr Wesen (nicht gerade zur Freude nebelschwadronierender Theoretiker) so: »Wenn wir in einem Walde einen Hügel finden, 1,80 lang und 90 cm breit, mit der Schaufel pyramidenförmig aufgeschichtet, dann werden wir ernst und es sagt eine Stimme in uns: hier liegt jemand begraben. Das ist Architektur.«
Er, Loos, ist der kritische Geist seiner Zeit, der eine. Und der andere ist Karl Kraus, mit dem Loos befreundet ist und der viele Texte von ihm in seiner Zeitschrift Die Fackel publiziert. Kraus charakterisiert den Sinn ihres kritischen Tuns und veröffentlicht diesen Sinn in einem Pamphlet, für jeden zum Frühstück in der Zeitung zu lesen, und bedenken Sie dabei die Chemisette-Mentalität seinerzeit, die prüde, stocksteife Gesellschaft der Jahrhundertwende, geschlossen vom Fuß bis hin zum Stehkragen: »Adolf Loos«, schreibt Kraus, »Adolf Loos und ich haben nichts weiter getan als gezeigt, dass zwischen einer Urne und einem Nachttopf ein Unterschied ist, und dass in diesem Unterschied erst die Kultur Spielraum hat. Die anderen aber teilen sich in solche, die die Urne als Nachttopf und die den Nachttopf als Urne gebrauchen« – geballter Aufschrei der Empörung in den hohen Stuben der Gesellschaft. Kraus und Loos waren wieder einmal in der Schlagzeile, und (auch das ist verständlich): Loos weitgehend ohne Aufträge.