1.2 Veränderte Charakteristik des Krieges
Der Krieg als stampfender Gott, der über uns kommt: Diese Metapher hatte schon immer eine apologisierende bis verschleiernde Funktion gehabt – mit ihr ließ sich treffend über die Motive, Krieg zu führen, lügen. Ohne Interesse aber gibt es keine Lüge – der Lügner ehrt die Wahrheit sogar noch dadurch, dass er Lüge als Wahrheit ausgibt. Gleichwohl – vor der Wahl und nach der Jagd wird immer gelogen; aber wie ist es im Krieg? Ebenfalls immer – so wird das Zitat Otto von Bismarck fälschlicherweise zugeschrieben.[9]
Ein kurzer Blick auf Platon belehrt uns über einen der ersten Gründe, die zum Krieg führen. Es geht bei Platon um das Wachsen eines fetten Staates, in dem Luxus und allerlei, was eigentlich nicht benötigt wird, letztlich durch die Arbeitsteilung doch noch zu dem Bedarf gemacht wird und damit ökonomisch zu zählen beginnt. Ein solches Staatsgebilde braucht dann auch mehr Platz, da es bei wachsender Bevölkerung und wachsendem Bedarf an Rohstoffen, Nahrungsmittel und Arbeitskräften, vulgo Sklaven, expandieren muss. Ganz unverhohlen geht der Dialog zwischen Sokrates und seinem Gesprächspartner Glaukon dahin:
»Und das Gebiet, das damals zureichend war, die damaligen Bewohner zu nähren, wird jetzt statt zureichend zu klein sein. Oder meinst du nicht?
O ja.
Wir müßten also von dem Lande der Nachbarn etwas abschneiden, wenn es hinreichen soll zum Weiden und Ackern, und jene hinwiederum von dem unsrigen, wenn auch sie sich auf endlosen Erwerb von Gütern einlassen, die Grenze des Notwendigen überschreitend?
Das ist ganz notwendig, Sokrates, erwiderte er.
So werden wir also Krieg haben infolgedessen, Glaukon,– oder was sonst?
Eben dies, versetzte er.
Und wir wollen noch nichts sagen, fuhr ich fort, weder von dem Schlimmen noch von dem Guten, was etwa der Krieg wirkt, sondern nur so viel, daß wir nunmehr die Entstehung des Kriegs gefunden haben, und daraus entsteht vorzugsweise Unheil für die Staaten, für die Einzelnen wie für das Ganze, wofern Krieg entsteht.
Allerdings.«[10]
Wir müssen in die Moderne schauen, denn Formen und Motivation von Kriegen haben sich im Laufe der Geschichte drastisch geändert, und damit auch die Figuren der Begründung, der Täuschung, der Apologie sowie der Interessenkonstellation. Waren Kriege noch bis ins 20. Jahrhundert Auseinandersetzung zwischen territorial definierten Staatsgebilden um Territorien, Zugang zur Bodenschätzen und Humankapital (vor allem in den Sklavenhaltergesellschaften), so haben sich nach dem 2. Weltkrieg diese Formen drastisch geändert. Die weltweite Schwächung staatlicher Autorität durch deren permanente, vermutlich politisch gewollte, Unterfinanzierung ermöglicht es im Grenzfall, dass auf ein und demselben Territorium, früher ethnisch oder national definiert, zwei oder mehrere Machtzentren um die Vorherrschaft kämpfen. Die ist die Form, die wir als Bürgerkrieg auch in Europa kennen gelernt haben. Die folgende Tabelle 1 zeigt eine Klassifikation dieser veränderter Formen.
Tabelle 1: Neue Typologie von Kriegen.[11]
Sowohl der Terrorismus selbst als auch der sogenannte internationale Kampf gegen den Terrorismus kennen keine Territorialität, keine Kriegserklärung und keine Unterscheidung zwischen der kämpfenden Truppe, den Kombattanten, der Partisanen oder Zivilisten mehr. Es ist fast nicht mehr möglich, zwischen den Opfern in der Zivilbevölkerung und den gefallenen Soldaten zu unterscheiden – die Grenzen sind nicht mehr definierbar. Diese neue Form von Krieg[12] erweist sich als eine interessegeleitete gewaltsame Auseinandersetzung unter Verletzung der vor dieser Auseinandersetzung noch bestehenden Vereinbarungen, also unter Konsensbruch und Verachtung von gegenseitigen legitimen Interessen. Diese Formen zeigen noch viel deutlicher als alle national oder territorial getönten Begründungsideologien die Herrschaft der Interessen und der zynischen Kosten- und Aufwandsabschätzungen der entsprechenden Parteien bei der Durchsetzungen ihrer Interessen.[13]
- [9] »Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.« Zur Quellenlage siehe: https://falschzitate.blogspot.com/2017/09/es-wird-niemals-so-viel-gelogen-wie-vor.html.
- [10] Platon: Der Staat, 373 d—e. Zit. nach: Platon-SW Bd. 2, S. 66—67.
- [11] Nach Rinke, Schwägerl (2012), Nielebock (2004).
- [12] Zum Begriff Krieg im Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung Rinke, Schwägerl (2012) sowie den Beitrag von D. Azcellini zur Privatisierung militärischer Aufgaben auf der wissenschaftlichen Jahrestagung der Gesellschaft für Technikgeschichte »Technik im Krieg« vom 5. bis 7. Mai 2005, Deutsches Technikmuseum, Berlin.
- [13] Die Globalisierung bewirkt ein Verschwinden der Hegemonialkriege, die ursprünglich hegemonial-zyklisch auftraten. Durch die Ent- oder Transnationalisierung von Kapital fällt der Hegemon weg. Verschärfte Wettbewerbsfragen um die Attraktion der produktivsten Gewerbestandorte führen zu Dumping bei Steuer, Sicherheitsvorschriften, Ökologie und innerer wie sozialer Sicherheit. Die daraus resultierenden Defizite und Migrationsbewegungen von Gewerbe, Arbeitsmarkt und Kapital sind militärisch nicht regelbar. Es wird daher Globalisierungsgewinner und Globalisierungsverlierer geben. Letztere rechnen Fachleute zu den künftigen Brutstätten des Terrors. Die »kleinen Kriege« nehmen zu (Daase 1999), die Privatisierung der Gewalt schreitet voran, wenn sich die staatlichen Macht- und Gewaltmonopole sich durch Steuerdumping auflösen und der Staat keine Sicherheit mehr gewährleisten kann. Es gibt schon jetzt in weiten Teilen der Welt ein wirtschaftliches Interesse an der Weiterführung von gewalttätigen Konflikten.