3.3 Technik als Strategie
Die Spieltheorie hat gezeigt, dass die jeweiligen Handlungsoptionen bei einem antagonistischen Konflikt, wie sie als Situation in Kriegen auftauchen, in der Regel technisch vermittelt sind. Jede Weiterentwicklung von Technik erweitert diese strategischen Optionen. Dies ist mit ein Grund, weshalb Kriege im Allgemeinen und deren Vorbereitungsphasen zu Kriegen im besonderen Beschleuniger der technologischen Entwicklung sind. Die Strategieauswahl selbst bleibt technizistisch, wenn sie sich ausschließlich an der Gewinnmatrix in der Normaldarstellung eines Spieles, wie wir es mathematisch formuliert haben, ausrichtet. Die Entscheidung darüber, ob Krieg zu führen ist oder nicht, kann auf diese Weise sowieso nicht gefällt werden. Die Entwicklungsschritte, die Gewaltausübung an die Technik zu delegieren, der Künstlichen Intelligenz Strategieentscheidungen zu überlassen, bis hin zur Delegation der Entscheidung, ob überhaupt sich ein Konflikt als lohnend erweist oder nicht, scheinen folgerichtig zu sein, weil sie der Technisierung unserer Lebensvollzüge entsprechen. Macht ist ein Humanum, und Gewalt kommt bei Machtausübung leider aber meistens vor. Gewalt stiftet zwar oft neue Machtverhältnisse, wenngleich in der Regel nicht auf Dauer. Es entspricht jedoch einer tiefgreifenden Dehumanisierung, wenn die Kontrolle über die Gewalt und damit auch die Entscheidung zur Gewaltausübung an technisch vermittelte Prozesse oder gar an technische Agenten delegiert wird.
Gleichwohl verbleibt dem Historiker die Aufgabe, die wahren Kriegsziele der jeweiligen Gegner aus dem Verlauf und den Dokumenten zu rekonstruieren. Dabei wird die Technik, die entwickelt und verwendet wurde, wichtig, um diese Ziele zu rekonstruieren, gerade auch bei geheimen oder vorgetäuschten wie auch offen demonstrierten Entwicklungen. So ließ Saddam Hussein seine Gegner bezüglich der Existenz von Massenvernichtungswaffen im Unklaren und ebenso aus einem gewissen Stolz auch seine eigenen Landleute. Zeigen und Verstecken sind deshalb bei der Rekonstruktion von Kriegszielen ebenso heranzuziehen. Dass Sadam Hussein über keine Massenvernichtungswaffen verfügte, zeigt dann den gedoppelten Bluff auf beiden Seiten, da die USA dies wusste, aber der Weltöffentlichkeit falsch darstellte.
Wohl alle oben genannten Irreführungsmöglichkeiten lassen sich in der Geschichte der Kriege auch post festumfeststellen. Selbst Dolchstoßlegenden – wir hätten es geschafft, wenn nicht … – können dann durch eine sorgfältige technikgeschichtliche Analyse widerlegt werden.
3.4 Technik und ihre Aufhebung durch Gewalt
Die Gewalt, die von Maschinen in technisierten Kriegen ausgeübt wird, ist nicht nur eine Gewalt gegen Personen, sondern auch eine Gewalt gegen Sachen und damit auch gegen die jeweiligen technischen Einrichtungen des Gegners. Das Schwert zerbricht, die Waffe wird stumpf, der Bunker wird bombardiert, der Leitstand durch einen gezielten Schlag »enthauptet«. Technik, die zur Gewaltausübung eingesetzt wird, hebt sich damit tendenziell selbst auf. Die Metapher, dass wir uns möglicherweise »in die Steinzeit zurückbomben« spricht dieses Verhältnis an. Auch hier bleiben ein paar Fragen übrig:
Wenn Technik im Krieg nicht nur in formaler Interpretation des Begriffs eine Rolle spielt, sondern auch in materialer Hinsicht, wenn also neue Techniken eher Krieg auslösen können als alte Technologien, wenn Technisierung und deren Innovationschübe letztlich eine Form von Kapitalisierung darstellt,[33] dann kann man den Verdacht hegen, dass Kapitalinteressen schon immer Kriege ausgelöst haben. Die Bedingungen hierfür liegen auf der Hand: Wenn die Verwertung des Kapitals in der Finanzierung der Zerstörung und der anschließenden Finanzierung des Aufbaus geeigneter erscheint als die Investition in Wachstum und Progress, d. h., wenn der Krieg Teil der »schöpferischen Zerstörung« wird.[34]
Im Ersten Weltkrieg und davor konnte man Kriegsanleihen zeichnen. Man kann durchaus einen Gewinn daraus ziehen, dem anderen den Willen aufzuzwingen. Das weltweite Investitionsgebaren scheint nach der Devise zu verfahren: Wenn andere Verwertungsmöglichkeiten ungünstig erscheinen, dann ist es eine Option, Zerstörung finanzieren, um danach den Aufbau wieder finanzieren zu können. Das gibt – zumindest aus der Vergangenheit – erfahrungsgemäß hohe Renditen. Damit setzt sich global das fort, was jeder Ökonom weiß, dass nämlich Schulden eine Praxis ökonomischer und unöffentlicher politischer, d. h. privatisierter Herrschaft sind.