Nun folgt die Einkleidung (elocutio), und spätestens jetzt kommt in der Musik der Tonmeister ins Spiel. Es ist die Orchestrierung, der Stil, letzten Endes das, was heute neuschwäbisch sagt: der Sound. Im Visuellen würde man das dann »die Show« nennen.
Wer redet, wer spielt, muss vorher üben, muss das Stück sich einprägen (memoria) und man muss arrangieren und einrichten, was vorgestellt werden soll. Dazu gehört das Einrichten der Technik, bevor die Aufführung losgeht, der Soundscheck und die Probe.
Schließlich ist es soweit, die Performance, die Aufführung, das Aussprechen (pronuntitatio), die wir in der Musik auch doppeldeutig als Interpretation bezeichnen. Sie ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit dem Stück, und bei dieser Interpretation ist der Tonmeister genauso dabei wie der Instrumentalist – sei es bei der Aufführung, bei der Performance, dem Vortrag oder der Aufnahme auf der Bühne oder im Studio.
Technik und Rhetorik der Musik beeinflussen einander
Instrumentaltechnik und die Rhetorik der Musik fließen nun ineinander über: Die Rhetorik der Musik, diese tonale Erzähl- und Wirkungskunst, also das, was die Musik ausmacht, und die Technik der Instrumente und des Arrangements haben sich schon immer in ihrer Entwicklung beeinflusst. Man könnte aber auch von einer Rhetorik der Technik[10] sprechen, denn sie spricht ebenfalls das rhetorische Dreieck an: Klang, Sound, Arrangement zielen auf Gefühle und Wiedererkennen (Pathos), auf die Verständlichkeit der Intention der Musik (Logos) und auf die Vertrauenswürdigkeit des Gehörten (Ethos).[11]
Die technische Gestaltung erlaubt es, die Intention der Musik zu verstärken oder abzuschwächen, sie gestattet, graduelle Veränderungen zu machen, die im Rahmen eben der Variationsbreite liegen, die der Komponist bei aller technischen Gestaltung erlaubt.
Die technische Gestaltung erlaubt es weiterhin, auch die Adressierung zu variieren. Man denke an die Möglichkeiten, die zwischen einer großen Beschallung bei einem Freiluftkonzert einerseits und bei einem ganz bestimmten speziellen, nur Insidern bekannten und nur aufrufbaren Kanal im Internet liegen. Durch die technische Gestaltung der Klangregie können Tonmeister zum Beispiel den Interpretationskontext verändern: Sie beeinflussen damit direkt die Dramaturgie. Die Technik erlaubt ferner eine Perfektion, man denke nur an die Kunst des Schnitts, die sonst live nie möglich wäre. Die technische Gestaltung erlaubt auch völlig neue Möglichkeiten der Komposition. Das ging los in den fünfziger Jahren, als die Elektronik sozusagen als Kompositionshilfe entdeckt wurdet, und diese Entwicklung hat auch heute noch kein Ende gefunden. Man hat aber auch da gesehen, dass die Bäume nicht unbedingt in den Himmel wachsen.
Umgekehrt beeinflusst die Rhetorik der Musik, sprich ihr musikalischer Gehalt, die Entwicklung der dazugehörenden Technik. Ebenso, wie sich musikalische Ideen entlang von technischen Möglichkeiten entlang hangeln nach dem Motto von trial and error, verlangen neue kompositorische Ideen nach neuen technischen Möglichkeiten. Dazu muss man sich nur einmal die Schriften von Stockhausen ansehen, was für Forderungen er von der musikalischen Seite aus an die Technik gestellt hat.[12]
Der Wunsch nach Verbreitung eines Musikstücks übt Druck auf die Technikentwicklung aus: Man lasse nur die Entwicklung von der Schallplatten- und Tonbandtechnik über die Kassetten und CDs zu MP3 bis hin zu den Streamingdiensten Revue passieren. Auch Hörgewohnheiten, vom Massengeschmack bis hin zur Avantgarde erzeugen neue Technikstandards. Die Erweiterung der Hörerwünsche übt durchaus Druck auf die Technikentwicklung aus, man denke nur zum Beispiel an das weite Gebiet der Lautsprecherentwicklung bis hin zu Hörgeräten.
Kam mit der Technik dann auch eine neue Musikkultur? Technik, Instrument und Komposition alleine sind nicht ausreichend. Ich sagte vorher: Musik ist eine Erzählung, sie ist auf Kommunikation angelegt und deshalb ist sie eine soziale Veranstaltung. Genau das haben wir in der Corona-Pandemie so bitter lernen müssen: Die Sozialität der Musik wurde eingeschränkt, und das Üben miteinander im Internet war zwar schön, aber ausgesprochen mühsam. Nun endlich kann man wieder zusammen proben – ein ganz anderes Gefühl.
Man sollte sich immer klarmachen: Wenn wir uns in dieses Gebiet begeben, seien es die Komponisten, die Arrangeure, die Instrumentalisten und auch die Tonmeister als Klangregisseure – alle wollen etwas, alle Beteiligten haben eine Vorstellung, jeder hat Interessen. Gespielte Musik spielt sich immer konkret in der Zeit ab, will etwas, und ist immer durch eine Situation bedingt. Und sie erzeugt Situationen. Es ist immer die konkrete Spiel- und Hör-Situation, in der wir uns befinden. Jede Aufführung ist ein Unikat.
Der Effekt der Funktion der Technik sollte doch sein, dass das zu Spielende so beim Auditorium, also der Gemeinschaft der Hörenden ankommt, wie der Künstler es möchte. Das hängt auch von der Art und Weise der jeweiligen Organisation der Situation ab. Es gibt gute Bühnenorganisationen und schlechte, es gibt gute Studios und weniger gute.
- [10] Friedrich (2018), S. 256 f.
- [11] All dies wäre ein eigene Untersuchung wert. Anzumerken ist, dass der Ausdruck »High Fidelity« (Hi-Fi) den Begriff der Klangtreue beinhaltet – ein durchaus moralisch konnotierter Begriff. Er bedeutet: zuverlässig wiedergeben, was gespielt wird.
- [12] Stockhausen (1973).