Droht die Substitution durch die Maschine?
Man kann im Laufe der Musikgeschichte eine Auflösung von Rhythmik, Harmonik und Melodik beobachten. Das geht schon bei Franz Liszt und Richard Wagner los. Nun ist die Einführung wechselnder Rhythmen bis hin zum off-beat oder die »Erfindung« der seriellen Musik nicht der Veränderung der Instrumentaltechnik Ende des 19. Jahrhunderts geschuldet, sondern eher eine Widerspiegelung der Umbrüche dieser Zeit, und es ist schwierig, nicht nur die neue Technik, sondern auch die neue Musik zu verstehen.
Da sind die Komponisten manchmal schneller als das Publikum. Aber einen Zufallsgenerator als Komponisten einzusetzen, ist nach meiner Interpretation eine experimentelle Übergangsphase, die gelehrt hat, dass es ohne Struktur in der Musik nicht geht.[13] Erinnern wir uns an die Musik als Erzählung, die eine Semantik und eine pragmatische Dimension hat. Dies ist ohne innere Struktur nicht möglich.
Ich erinnere mich an die siebziger Jahre – auch bei den ganz modernen Komponisten in Donaueschingen hatte die Liebe zur Struktur wieder eingesetzt, der Hintergrundlärm einer Großstadt ist wohl noch keine Musik und auch keine Erzählung.
In diesem Zusammenhang muss ich aus aktuellem Anlass doch auf das Problem eingehen, ob die Maschine den Musiker ersetzen wird oder ob man sich dagegenstellen sollte. Im Herbst 2021 ging die Meldung durch die Presse, ein Computerprogramm habe Beethovens zehnte Symphonie »vollendet«, und zwar aufgrund von marginalen Fragmenten, die er hinterlassen hat.
Man kann nun darüber diskutieren, ob ein solches Unterfangen sinnvoll ist oder nicht und was dabei herauskommt oder was nicht.[14] Mich interessiert hier der Aspekt der Täuschung, deshalb weiche ich auf ein anderes Beispiel aus. In Kaiserslautern wurden im Rahmen eines KI-Kongresses im Rahmen eines Orchesterabends zwei Stücke vorgestellt – es handelte sich jedes Mal unverkennbar um Sätze aus Klavierkonzerten von Mozart, die ohne Angabe gespielt wurden. Nun hat Mozart 27 Klavierkonzerte mit durchschnittlich jeweils drei Sätzen komponiert; man muss sich also sehr gut auskennen, wenn man die Stücke den jeweiligen Konzerten zuordnen soll. Das Publikum sollte nun raten, welches der beiden Stücke von Mozart und welches aus einer Computerkomposition »à la Mozart« stamme. Zur Beruhigung sei gesagt, dass auch ein anwesender Generalmusikdirektor mit seiner Bestimmung daneben lag, welches nun genuin Mozart und welches ein Produkt der künstlichen Intelligenz sei.
Wir müssen also vorsichtig sein – wer mit künstlicher Intelligenz arbeitet, muss mit natürlicher Dummheit rechnen. Wir sollten die künstliche Intelligenz nicht überbewerten, sie sollte Instrument, also Mittel zum Zweck bleiben.
Das Mittel sucht sich, wie schon gesagt, immer auch neue Zwecke, das ist richtig, aber wir sollten besonnen damit umgehen. Natürlich gelang es der künstlichen Intelligenz hier, die meisten Hörer zu täuschen. Alan Turing, der noch vor der technisch-realen Existenz des Computers seine Grundlagen theoretisch erforschte, definierte eine intelligente Maschine als eine Einrichtung, die in der Lage ist, eine Versuchsperson im Unklaren zu lassen, ob in einer kommunikativen Situation am anderen Ende der Leitung ein Mensch oder eine Maschine antwortet. Heute besteht jede »Siri« oder »Alexa« oberflächlich und gerade bei Kindern diesen Test, und wir würden ihr dennoch keine Intelligenz zubilligen, weil sie – wenn es darauf ankommt - keine wirklich kniffligen Fragen beantworten kann.