Wir kön­nen nur auf win­zigs­te Bruch­stü­cke des Schat­zes hin­wei­sen und zum Bei­spiel Pau­lis Ansicht zur Ent­ste­hung wis­sen­schaft­li­cher Theo­rien zitie­ren, die zur Über­ra­schung der meis­ten Wis­sen­schafts­phi­lo­so­phen betont, was prak­ti­zie­ren­den Phy­si­kern wahr­schein­lich eher selbst­ver­ständ­li­che Gewiß­heit sein wird, daß phy­si­ka­li­schen Theo­rien näm­lich gera­de nicht durch logi­sche Schlüs­se aus Pro­to­koll­bü­chern abge­lei­tet wer­den. Sie kom­men – Pau­li zufol­ge – viel­mehr »durch ein vom empi­ri­schen Mate­ri­al inspi­rier­tes Ver­ste­hen« zustan­de, wel­ches er »als zur Deckung kom­men von inne­ren Bil­dern mit äuße­ren Objek­ten und ihrem Ver­hal­ten« prä­zi­se beschrie­ben hat, wobei natür­lich die­se äuße­ren Objek­te erst ein­mal selbst von der Wahr­neh­mung in Bil­der umge­wan­delt wer­den müssen.

Bemerkt hat­te Pau­li die­ses Zusam­men­pas­sen und Über­ein­stim­men von Bil­dern nicht nur im Ver­lauf sei­ner eige­nen wis­sen­schaft­li­chen Ent­de­ckun­gen, son­dern vor allem bei der his­to­risch-kri­ti­schen Ana­ly­se der Wer­ke und Argu­men­te von Johan­nes Kep­ler, der sich im 17. Jahr­hun­dert den helio­zen­tri­schen Vor­schlag des Koper­ni­kus zu eigen mach­te, indem er die Son­ne end­gül­tig in die Mit­te der Welt setz­te und die Erde um sie krei­sen ließ. Das Stu­di­um der Schrif­ten von Kep­ler läßt dabei erken­nen, daß er die­se kos­mi­sche Über­zeu­gung nicht aus wis­sen­schaft­lich nach­prüf­ba­ren, son­dern aus reli­gi­ös moti­vier­ten Grün­den gewon­nen hat. Kep­ler besah den Him­mel vor dem Hin­ter­grund eines beson­de­ren Bil­des, das den drei­fal­ti­gen Got­tes reprä­sen­tiert und von ihm selbst als Drei­ei­nig­keit bzw. Tri­ni­tät ver­stan­den wur­de. Für Kep­ler stellt die Tri­ni­tät ein Urbild des Den­kens dar, wobei er das latei­ni­sche Wort »arche­ty­pus« ver­wen­det, das heu­te Ein­gang in die Psy­cho­lo­gie gefun­den hat und den Kreis zu Pau­lis eige­nem Den­ken schlie­ßen wird. Indem das helio­zen­tri­sche Welt­bild das arche­ty­pi­sche Bild der Tri­ni­tät per­fekt spie­gelt bzw. reprä­sen­tiert, ist Kep­ler in der Lage, die Geset­zen des Him­mels zu erken­nen. Er selbst hat sich im frü­hen 17. Jahr­hun­dert schon in sei­nen ers­ten Schrif­ten ent­spre­chend geäu­ßert und eine Erkennt­nis­theo­rie der Bil­der formuliert:

»Erken­nen heißt, das sinn­lich (äußer­lich) Wahr­ge­nom­me­ne mit den inne­ren Urbil­dern zusam­men­zu­brin­gen und ihre Über­ein­stim­mung zu beur­tei­len, was [man] sehr schön aus­ge­drückt hat mit dem Wort, ›Erwa­chen´ wie aus einem Schlaf. Wie näm­lich das von außen Begeg­nen­de uns erin­nern macht an das, was wir vor­her wuß­ten, so locken die Sin­nes­er­fah­run­gen, wenn sie erkannt wer­den, die intel­lek­tu­el­len und innen vor­han­de­nen Gege­ben­hei­ten her­vor, so daß sie dann in der See­le auf­leuch­ten«, wobei die­ser zuletzt genann­te Vor­gang nur die Umschrei­bung Kep­lers für sein Glücks­ge­fühl ist, das in die­sem Zusam­men­hang auch als phy­si­ka­li­scher Rausch beschrie­ben wer­den kann.

Die »innen vor­han­de­nen Gege­ben­hei­ten« kennt die heu­ti­ge Psy­cho­lo­gie als prä­exis­ten­te inne­re Bil­der, und die Befrie­di­gung bzw. das Glücks­ge­fühl, daß sich mit der Bewußt­wer­dung einer neu­en Ein­sicht ein­stellt, kann dadurch beschrie­ben wer­den, daß es zu einer Deckung die­ser inne­ren Bil­der mit den­je­ni­gen kommt, die von außen gekom­men sind und nun in die­ser Fest­le­gung als Vor­stu­fe der Begriffs­bil­dung die­nen können.

Kep­ler ver­mu­tet übri­gens, daß es geo­me­tri­sche For­men sind, mit denen die Urbil­der gemalt wer­den. Die­sen Gedan­ke, den man wegen sei­ner for­ma­len Nähe zu den geschil­der­ten Ent­de­ckun­gen der Neu­ro­phy­sio­lo­gie des Sehens nur sym­pa­thisch fin­den kann, hat Kep­ler nicht nur zu sei­nem zen­tra­len Satz der Ästhe­tik genutzt, dem­zu­fol­ge die Geo­me­trie das Urbild der Schön­heit der Welt ist (»Geo­me­tria est arche­ty­pus pulchri­tu­di­nis mun­di«). Er hat aus ihm auch sein wis­sen­schaft­li­ches Glau­bens­be­kennt­nis for­mu­liert, indem er kon­sta­tier­te, »die Geo­me­trie ist Gott selbst, und sie hat ihm die Urbil­der gelie­fert für die Erschaf­fung der Welt. In die Men­schen aber, Got­tes Eben­bild, ist die Geo­me­trie über­ge­gan­gen, und nicht erst durch die Augen wird sie aufgenommen.«

Sie wird natür­lich auch durch die Augen auf­ge­nom­men, und Erkennt­nis fin­det in dem ästhe­ti­schen Akt statt, bei dem die sinn­lich erzeug­ten Innen­bil­der mit den see­lisch her­vor­ge­ru­fe­nen Innen­bil­dern harmonisieren.

XIII. Der arche­ty­pi­sche Hintergrund

Die Idee der inne­ren Bil­der fin­det sich bereits vor gut 100 Jah­ren bei dem Phy­si­ker Hein­rich Hertz, der sei­ne Vor­le­sun­gen über die »Prin­zi­pi­en der Mecha­nik« von 1894 damit eröffnet:
»Wir machen uns inne­re Schein­bil­der oder Sym­bo­le der äuße­ren Gegen­stän­de, und zwar machen wir sie von sol­cher Art, daß die den­knot­wen­di­gen Fol­gen der Bil­der stets wie­der die Bil­der sei­en von den natur­not­wen­di­gen Fol­gen der abge­bil­de­ten Gegen­stän­de. Damit die­se For­de­run­gen über­haupt erfüll­bar sei, müs­sen gewis­se Über­ein­stim­mun­gen vor­han­den sein zwi­schen der Natur und unse­rem Geiste.«

Hertz äußert sich lei­der nicht wei­ter, wie die­se »gewis­sen Über­ein­stim­mun­gen« sei­ner Ansicht nach aus­se­hen bzw. zustan­de kom­men könn­ten. Für Pau­li liegt – ein hal­bes Jahr­hun­dert spä­ter – die Ant­wort in dem Kon­zept, daß die moder­ne Psy­cho­lo­gie mit dem schon von Kep­ler ver­wen­de­tet Begriff als Arche­ty­pen bezeich­net. Wie mit des­sen Hil­fe und den dazu­ge­hö­ri­gen inne­ren Bil­dern psy­cho­lo­gi­sche fun­dier­te Theo­rie der Erkennt­nis zu skiz­zie­ren ist, ver­sucht Pau­li zunächst in einem Brief vom 7. Janu­ar 1948, der an sei­nen Kol­le­gen Mar­kus Fierz gerich­tet ist, dar­zu­stel­len. Er schreibt:
»Wenn man die vor­be­wuß­te Stu­fe der Begrif­fe ana­ly­siert, fin­det man immer Vor­stel­lun­gen, die aus ´sym­bo­li­schen´ Bil­dern mit im all­ge­mei­nen star­kem emo­tio­na­len Gehalt bestehen. Die Vor­stu­fe des Den­kens ist ein malen­des Schau­en die­ser inne­ren Bil­der, deren Ursprung nicht all­ge­mein und nicht in ers­ter Linie auf Sin­nes­wahr­neh­mun­gen zurück­ge­führt wer­den kann. Die archai­sche Ein­stel­lung ist aber auch die not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung und die Quel­le der wis­sen­schaft­li­chen Ein­stel­lung. Zu einer voll­stän­di­gen Erkennt­nis gehört auch die­je­ni­ge der Bil­der, aus denen die ratio­na­len Begrif­fe gewach­sen sind.«

Zu einer voll­stän­di­gen Theo­rie des Erken­nens gehört natür­lich vor allem eine Beschrei­bung der Brü­cke, die zwi­schen den äuße­ren Wahr­neh­mun­gen und den inne­ren Ideen ver­mit­telt und bei­de Berei­che ord­net und regu­liert, wie Pau­li es ger­ne nennt. Für die­se Stel­le nun benö­tigt er das Kon­zept das »Arche­ty­pus«, wobei er als Wis­sen­schaft­ler im 20. Jahr­hun­dert eine Schwie­rig­keit zu über­win­den hat, die für Kep­ler noch nicht bestand. Es geht um die von René Des­car­tes ein­ge­führ­te und in der west­li­chen Wis­sen­schafts­spra­che längst fest ver­an­ker­te Tren­nung der geis­ti­gen und der mate­ri­el­len Sphä­re (res cogi­tans und res exten­sa). Wer Außen und Innen in einem Punkt ver­bin­den will – ohne dabei von einer See­le spre­chen zu wol­len –, muß den kar­te­si­schen Schnitt auf­he­ben und wie­der eine Ebe­ne fin­den, von der aus die Welt als Gan­zes zu sehen ist. Auf die­ser Ebe­ne sind die Arche­ty­pen ange­sie­delt. In den Wor­ten von Pauli:
»Das Ord­nen­de und Regu­lie­ren­de muß jen­seits der Unter­schei­dung von ›phy­sisch‹´ und ›psy­chisch‹ gestellt wer­den – so wie Pla­tos ›Ideen‹ etwas von Begrif­fen und auch etwas von Natur­kräf­ten haben (sie erzeu­gen von sich aus Wir­kun­gen). Ich bin sehr dafür, die­ses ›Ord­nen­de und Regu­lie­ren­de‹ ›Arche­ty­pen‹ zu nen­nen; es wäre dann aber unzu­läs­sig, die­se als psy­chi­sche Inhal­te zu defi­nie­ren. Viel­mehr sind die erwähn­ten inne­ren Bil­der die psy­chi­sche Mani­fes­ta­ti­on der Arche­ty­pen, die aber auch alles Natur­ge­setz­li­che im Ver­hal­ten der Kör­per­welt her­vor­brin­gen, erzeu­gen, bedin­gen müß­ten. Die Natur­ge­set­ze der Kör­per­welt wären dann die phy­si­ka­li­sche Mani­fes­ta­ti­on der Arche­ty­pen. Es soll­te dann jedes Natur­ge­setz eine Ent­spre­chung innen haben und umge­kehrt, wenn man auch heu­te das nicht immer unmit­tel­bar sehen kann.«