Als Schil­ler am Ende des 18. Jahr­hun­derts die­sen Satz schrieb, hat­te der Bedeu­tungs­wan­del begon­nen, der die Ästhe­tik bald weit von der Natur ent­fern­te und sie aus­schließ­lich für den Bereich der Kunst rekla­mier­te. Seit­dem haben wir – vor allem im Gefol­ge der dia­lek­ti­schen Phi­lo­so­phie Hegels – kei­nen Blick mehr für das, was Schil­ler das Natur­schö­ne nann­te. Ich ver­mu­te hier einen der Grün­de dafür, daß die Moder­ne bes­ten­falls etwas mit der Schwund­stu­fe die­ser Idee, den soge­nann­ten Natur­schön­hei­ten, etwas anzu­fan­gen weiß und kei­nen Mut ent­wi­ckelt, mit wahr­ge­nom­me­nen Bil­dern nach Erkennt­nis­sen zu suchen.

Wenn von der Schön­heit der Bil­der gespro­chen wird, soll­te nicht nur nicht über­se­hen, son­dern von Anfang an fest­ge­hal­ten wer­den, daß nicht nur das Wort »Schön­heit«, son­dern auch der so ein­fach wir­ken­de und so viel­fach gebrauch­te Aus­druck »Bild« eine Fül­le von Mög­lich­kei­ten in sich birgt. In die­sem Fall wäre es sehr wohl von Vor­teil, wenn man sie und sich – gera­de in einem wis­sen­schaft­lich berei­te­ten und aus­ge­schmück­ten Rah­men – dif­fe­ren­zier­ter aus­drü­cken wür­de, als dies im all­ge­mei­nen geschieht. Wäh­rend wahr­schein­lich kaum jeman­dem erklärt zu wer­den braucht, was schön ist, weil dies doch ohne Begriff klar wer­den kann, müs­sen wir beim Bild sagen, für wel­che Form wir kon­kret die­ses Wort in einem gege­be­nen Zusam­men­hang ver­wen­den, denn ein Zei­tungs­bild (Pres­se­pho­to) und ein Welt­bild haben zum Bei­spiel – außer den vier letz­ten Buch­sta­ben – ver­mut­lich fast nichts gemein­sam. In einer phi­lo­so­phisch gründ­li­chen Dis­kus­si­on könn­te man das Pres­se­pho­to als mate­ri­el­les Bild ein­stu­fen, das durch die Eigen­schaf­ten cha­rak­te­ri­siert ist, die Wie­der­ga­be von einem kon­kre­ten (»wirk­lich vor­han­de­nen«) Gegen­stand zu sein und mit ihm eine gewis­se Ähn­lich­keit zu haben. Ein Welt­bild hin­ge­gen wür­de man in die Kate­go­rie »ethi­scher Bild­be­griff« ein­ord­nen, der bei der Aus­wahl mora­li­scher Prin­zi­pi­en hilft und zum Bei­spiel deskrip­ti­ve und nor­ma­ti­ve Men­schen­bil­der mit umfaßt.

Das Grimm­sche Wör­ter­buch stellt zu die­sem The­ma fest, daß unser Wort »Bild« von der alt­hoch­deut­schen Form »bil­idi« abge­lei­tet ist, in der als Wur­zel »bil­lôn« steckt, was wie­der­um – über einen hier nur ange­deu­te­ten latei­ni­schen Umweg – auf »das Gestal­te­te« hin­weist. Bil­der sind also ursprüng­lich etwas Gestal­te­tes. Sie bezeich­nen etwas, das der mensch­li­chen Ein­bil­dungs­kraft ent­springt und als inne­re Sub­stanz des pro­duk­ti­ven Künst­lers ver­stan­den wer­den kann, die er im krea­ti­ven Pro­zeß nach außen bringt. »Je grö­ßer das Talent, des­to ent­schie­de­ner bil­det sich gleich anfangs das zu pro­du­zie­ren­de Bild«, wie Goe­the in dem bereits erwähn­ten Jahr 1819 geschrie­ben hat, wobei er offen­bar in den Wer­ken von Augus­ti­nus gele­sen hat, der all­ge­mein Spra­che als Den­ken inter­pre­tiert, das sich der Bil­der bedient. In sei­nen »Bekennt­nis­sen« hält Augus­ti­nus fest, daß Spre­chen not­wen­di­ger­wei­se von Bil­dern beglei­tet wird. Die beim Reden oder Schrei­ben ver­wen­de­ten Aus­drü­cke erhal­ten ihre Bedeu­tung erst in dem Augen­blick, in dem sie sich auf inne­re Bil­der bezie­hen, das heißt auf Bil­der, die »aus dem Schatz der Erin­ne­run­gen« stam­men. Wenn dies nicht der Fall wäre, dann – so drückt es Augus­ti­nus aus – »könn­te ich über­haupt nichts nennen«.

In der moder­nen Phi­lo­so­phie spricht man in die­sem Zusam­men­hang vom men­ta­len Bild­be­griff, dem noch wei­te­re an die Sei­te gestellt wer­den kön­nen – etwa der meta­phy­si­sche oder der meta­pho­ri­sche –, auf die hier aber nur hin­ge­wie­sen wer­den soll, um den Blick ein­mal über das wei­te Feld schwei­fen zu las­sen, das sich dem Den­ken anbie­tet und auf sei­ne Bear­bei­tung wartet.

Die Bei­spie­le zei­gen, daß die Fra­ge »Was ist ein Bild?« auf kei­nen Fall mit tri­via­len Aus­künf­ten zu beant­wor­ten ist, selbst wenn wir heu­te mas­sen­haft durch die Medi­en mit Bil­dern ver­sorgt und von ihnen umge­ben wer­den und nichts selbst­ver­ständ­li­cher als ein Bild zu sein scheint. Doch selbst die kür­zes­te Auf­zäh­lung der vie­len Mög­lich­kei­ten zeigt, wel­che Unter­schei­dun­gen min­des­tens beach­tet wer­den können:

Ein Bild kann etwa in Form einer Skiz­ze oder einer Zeich­nung vor­lie­gen und der Illus­tra­ti­on die­nen, oder es kann – zum Bei­spiel als Gemäl­de – sei­nen Eigen­wert besit­zen und dabei nur für sich ste­hen. Bil­der kann es in der Zei­tung, im Fern­se­hen oder im Kopf geben, und immer mei­nen wir etwas völ­lig ande­res mit dem einen Wort »Bild«. Wis­sen­schafts­his­to­ri­ker reden häu­fig von Welt­bil­dern, die For­scher frü­her umge­stürzt haben – etwa als ihnen der Wech­sel von der Klas­si­schen Phy­sik zur Quan­ten­me­cha­nik gelun­gen ist –, und vor allem die im bio­me­di­zi­ni­schen Rah­men täti­gen Wis­sen­schaft­ler wer­den heu­te ver­mehrt nach ihrem Men­schen­bild gefragt, wenn sich die Dis­kus­si­on um den Fort­schritt ihrer For­schung ethi­schen The­men zuwen­det und die Moral ins Spiel bringt.