Kep­ler spielt auch eine Rol­le in die ande­re Blick­rich­tung, bei der Fern­roh­re kon­stru­iert und an den Him­mel gerich­tet wer­den. Zu die­ser Ent­wick­lung trägt ein Ita­lie­ner – Gali­leo Gali­lei – eben­so bei wie etwas spä­ter ein wei­te­rer Eng­län­der – Isaac New­ton. Zwar hat sich des­sen eigen­wil­li­ger Gegen­spie­ler Johann Wolf­gang von Goe­the ein­mal dar­über beklagt, daß »Mikro­sko­pe und Fern­röh­re eigent­lich den rei­nen Men­schen­sinn ver­wir­ren«, doch die­ser Ein­wand trägt nicht weit. Denn der Mensch, der die genann­ten Gerä­te benutzt, hat dabei längst einen ange­füll­ten und mit vie­len künst­le­ri­schen und wis­sen­schaft­li­chen Ideen und Bil­dern beset­zen Sinn, ohne den er trotz allen Bli­ckens nicht viel sehen wür­de. Wenn Goe­the geschrie­ben hät­te, »Fern­roh­re hel­fen dem geschul­ten Men­schen­sinn«, wäre er den his­to­ri­schen Tat­sa­chen näher­ge­kom­men, wie sich am Bei­spiel von Gali­leo Gali­lei erweist, der im frü­hen 17. Jahr­hun­dert etwa zur glei­chen Zeit wie der Eng­län­der Tho­mas Har­ri­ot sein wahr­schein­lich ähn­lich gutes (bzw. aus heu­ti­ger Sicht ähn­lich unzu­rei­chen­des) Fern­rohr auf den Mond rich­te­te.[2] Bei­de Beob­ach­ter bemerk­ten dabei gezack­te Lini­en, die den klei­nen Him­mels­kör­per von oben nach unten durch­zo­gen. Wäh­rend Har­ri­ot aber nur deren Mus­ter erblick­te, ohne einen Schluß dar­aus zie­hen zu kön­nen, sah der als Land­schafts­ma­ler in der Natur­be­ob­ach­tung geschul­te Gali­lei wei­ter, und er erkann­te in den schar­fen Trenn­li­ni­en von Hell und Dun­kel das typi­sche Mus­ter von Schat­ten, die Berg­rü­cken wer­fen, wenn die Son­ne flach ein­strahlt. Mit ande­ren Wor­ten, wäh­ren Har­ri­ot nur Lini­en sah (und nichts bemerk­te), sah (und also ent­deck­te) Gali­lei Ber­ge auf dem Mond. Und von die­sem Augen­blick (!) an darf man sich den Tra­ban­ten nicht mehr mit glat­ter Ober­flä­che vorstellen.

IV. Visua­li­sier­te Wissenschaft

Die instru­men­tel­le Ver­bes­se­rung des visu­el­len Zugangs zum viel­fach unsicht­ba­ren Wirk­li­chen konn­te vor allem im 20. Jahr­hun­dert weit vor­an­ge­trie­ben wer­den, und den Men­schen der moder­nen Zeit ste­hen inzwi­schen neben viel­fäl­ti­gen Ver­fah­ren wie Fär­be­tech­ni­ken, Pha­sen­kon­trast, Auto­ra­dio­gra­phie, Hoch­ge­schwin­dig­keits­pho­to­gra­phie, Enze­pha­logra­phie, Sono­gra­phie, Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen und Rönt­gen­beu­gung noch impo­nie­ren­de Instru­men­te wie Hoch­leis­tungs­te­le­sko­pe, Satel­li­ten­ka­me­ras, Ras­ter- und Tun­nel-Elek­tro­nen­mi­kro­sko­pe, Teil­chen­be­schleu­ni­ger und Com­pu­ter­to­mo­gra­phen zur Ver­fü­gung, wobei die dabei erziel­ten Auf­nah­men inzwi­schen digi­ta­li­siert und der­art frei­zü­gig mit soge­nann­ten Falsch­far­ben ver­ziert oder »ver­bes­sert« wer­den, daß sich der Ein­druck ein­stellt, hier wird mehr der Schön­heits- und weni­ger der Spür­sinn des for­schen­den Betrach­ters ange­spro­chen.[3]

Es läßt sich leicht vor­her­sa­gen, daß die Rol­le der Bil­der in der For­schung in naher Zukunft zuneh­men wird. Die ers­ten ame­ri­ka­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten haben bereits ihr »Cen­ter for Ima­ging Sci­ence« ein­ge­rich­tet, also etwa »Zen­trum für bild­ge­ben­de Wis­sen­schaft«. Und an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät unter­su­chen Kunst- und Kulturwissenschaftler(innen) die Rol­le, die »Das tech­ni­sche Bild« sowohl in der his­to­ri­schen Ent­wick­lung als auch in der aktu­el­len Bewer­tung der For­schung spielt. Unter sol­chen Vor­ga­ben kann zum Bei­spiel das Bild als Werk­zeug der Wis­sen­schaft erkun­det oder die Tri­um­phe und die Fal­len der Com­pu­ter­vi­sua­lis­tik dis­ku­tiert wer­den. Daß es Gefah­ren auf die­sem Sek­tor gibt und daß die viel­fach schon als visu­el­le Wen­de der Wis­sen­schaft gefei­er­te Durch­drin­gung des For­scher­all­tags mit Bil­dern durch­aus nicht ohne Pro­ble­me abläuft und nie ohne beson­de­re Kon­trol­le vor sich gehen darf, hat bereits vor rund 100 Jah­ren Robert Koch bemerkt, der selbst vie­le Fär­be­me­tho­den in die Mikro­sko­pie ein­ge­führt und zur Iden­ti­fi­zie­rung von patho­ge­nen Mikro­or­ga­nis­men genutzt hat. Vor die­se Erfol­ge hat­te die Natur aller­dings den Schweiß der Iden­ti­fi­zie­rung vie­ler Arte­fak­te gesetzt, und Koch muß­te höchst­per­sön­lich erfah­ren, wie leicht es pas­sie­ren kann, daß sich in den mikro­sko­pi­schen Prä­pa­ra­ten »mehr foto­gra­fie­ren lie­ße, als in der Wirk­lich­keit vor­han­den ist.« Hin­ter die­ser nur durch metho­di­sche Sorg­falt zu begeg­nen­den Gefahr lau­ert eine zwei­te, die mit dem mensch­li­chen Ver­gnü­gen am Betrach­ten von Bil­dern zusam­men­hängt und sich in Kochs Wor­ten so aus­drü­cken läßt: »Das foto­gra­fi­sche Bild eines Gegen­stan­des ist unter Umstän­den wich­ti­ger als die­ser selbst.«[4]

Unab­hän­gig davon kön­nen geeig­ne­te Bil­der ein auf Ver­ständ­nis basie­ren­des Ver­trau­en für die Wis­sen­schaft schaf­fen, sie kön­nen sie wie­der zu einem Gegen­stand der Kon­tem­pla­ti­on machen und viel­leicht sogar die not­wen­di­ge öffent­li­che Nähe zu ihr her­stel­len und sinn­li­che Lei­den­schaf­ten wecken, wie die ein­gangs erzähl­te Bege­ben­heit ver­deut­licht. Sie zeigt in per­sön­lich faß­ba­rer Deut­lich­keit, wie Tho­mas Mann mit der ästhe­ti­schen Hil­fe der dem Auge gefal­len­den Model­le und Bil­der ein Ver­ständ­nis der Evo­lu­ti­on und ein Gefühl für den Zusam­men­hang der leben­di­gen For­men nicht nur bekommt, son­dern dar­über hin­aus auch erlebt. Bei der Wahr­neh­mung der Muse­ums­stü­cke sieht und erfaßt er etwas von sich und sei­nem Mensch­sein, und zwar über sei­ne anschau­lich wer­den­de Zuge­hö­rig­keit zum Gan­zen der Natur. Er erblickt, was zwar kon­kret unsicht­bar bleibt, was aber eben­so offen­sicht­lich in ihm ange­legt ist. Und bei vie­len Bil­dern wird man eben­falls etwas sehen, das gewöhn­lich unsicht­bar ist, das aber – wort­wört­lich – der Natur nach zum Men­schen gehört und das an uns Sicht­ba­re hervorbringt.

V. Die Bedeu­tung des Ästhetischen

Wenn hier von »ästhe­ti­schen Qua­li­tä­ten der For­schung« gespro­chen wird, dann ist damit der ursprüng­li­che Begriff des Ästhe­ti­schen gemeint, der nichts mit der Ein­schät­zung oder Bewer­tung von Kunst­wer­ken zu tun hat, so wie es heu­te zumeist ver­stan­den wird. Die­se spe­zi­el­le Ästhe­tik ist nur die fein ver­zweig­te Spit­ze eines Astes, der sich von einem Baum ent­fernt und abzu­lö­sen beginnt, des­sen Stamm mehr Mög­lich­kei­ten bie­tet. Ästhe­tik bezeich­net näm­lich ihrer ursprüng­li­chen Bedeu­tung nach das, was auch die Wis­sen­schaft euro­päi­scher Her­kunft sein woll­te, näm­lich ein eigen­stän­di­ges Ver­fah­ren zum Fin­den und Erkun­den des Wirk­li­chen. Genau­er gesagt geht es in der Ästhe­tik um den Bei­trag der Sin­ne zur Lösung die­ser Auf­ga­be, und da Bil­der von Sin­nen ver­stan­den wer­den, ist die Rol­le, die sie bei der Erkennt­nis der Wirk­lich­keit spie­len, ein The­ma der Ästhetik.