Als zen­tra­le Auf­ga­be einer Erkennt­nis­theo­rie der Wis­sen­schaft, die über den logisch-ratio­na­len Grund­kurs hin­aus­geht, sieht Pau­li die Erkun­dung des arche­ty­pi­schen Hin­ter­grunds, den grund­le­gen­de Begrif­fe der Phy­sik haben. Für ihn stel­len zum Bei­spiel das Atom und die Ener­gie weder empi­risch noch logisch fun­dier­te Begrif­fe dar – und aus heu­ti­ger Sicht könn­te man das Gen hin­zu­fü­gen. Es han­delt sich mehr um arche­ty­pi­sche Kon­zep­te, die in der Wis­sen­schaft ver­an­kert blei­ben und von For­schern trotz mas­si­ver Bedeu­tungs­ver­schie­bun­gen im Lauf der Geschich­te durch­gän­gig akzep­tiert und ver­wen­det wer­den, weil ihnen inne­re Urbil­der ent­spre­chen (an die wir von Her­zen glau­ben kön­nen). Die­sen arche­ty­pi­schen Hin­ter­grund gilt es zu iden­ti­fi­zie­ren, wenn man das Welt­bild ver­ste­hen will, das die Wis­sen­schaft entwirft.

Man ver­steht sicher nicht, was ein Atom ist, wenn man sich ein Bild im Sin­ne von »pic­tu­re« macht – also ein Bild, wie es in die­sem Jahr­hun­dert noch das Bohr­sche Atom­mo­dell von 191213 vor­ge­zeigt hat. Und man ver­steht nicht, was ein Gen ist, wenn man sich ein ähn­lich gear­te­tes Bild macht – etwa ein Stück DNA in sei­ner dop­pelt schrau­ben­för­mi­gen Struk­tur mit einer fes­ten Län­ge. Ato­me wie Gene wer­den nicht durch noch so schö­ne »pic­tures«, son­dern nur als »images« ver­steh­bar, und dabei ver­schwin­det ihre schlich­te Anschau­lich­keit. Ato­me sind längst kei­ne Din­ge mehr, die man durch einen fes­ten Ort im Raum cha­rak­te­ri­sie­ren oder im Kon­ti­nu­um der quan­ten­me­cha­ni­schen Wahr­schein­lich­kei­ten iden­ti­fi­zie­ren könn­te. Und Gene sind längst kei­ne Gebil­de mehr, die man durch einen fes­ten Ort in der Zel­le cha­rak­te­ri­sie­ren und im Kon­ti­nu­um der bio­lo­gi­schen Evo­lu­ti­on iden­ti­fi­zie­ren könn­te. Trotz­dem gibt es Bil­der (images) von Ato­men und Genen, und wir benö­ti­gen sie auch, da – wie von Augus­ti­nus zu ler­nen war – alle Aus­drü­cke erst dann ihre kom­mu­ni­ka­ti­ve Bedeu­tung bekom­men, wenn sie sich auf inne­re Bil­der bezie­hen lassen.

Daß in solch einer Situa­ti­on die Mit­wir­kung der Kunst gefragt ist, hat zuerst Niels Bohr aus­ge­drückt: »Die Quan­ten­theo­rie ist ein wun­der­ba­res Bei­spiel dafür, daß man einen Sach­ver­halt in völ­li­ger Klar­heit ver­stan­den haben kann und gleich­zei­tig doch weiß, daß man nur in Bil­dern und Gleich­nis­sen von ihm reden kann.«

XIV. Gestal­tung von Wissenschaft

Im Mit­tel­punkt der Wis­sen­schaft, im Zen­trum des dazu­ge­hö­ri­gen Erken­nens und in den Anfän­gen des ent­spre­chen­den Den­kens tref­fen wir also auf Bil­der. Sie haben zwar kei­nen ratio­na­len Ursprung, las­sen sich aber durch Begrif­fe (wie Atom oder Gen) aus­drü­cken, die im ratio­na­len Dis­kurs kom­mu­ni­ka­bel sind. Wenn »Wis­sen­schaft machen« heißt, daß For­scher die­se Bil­der fin­den und vor­stel­len kön­nen, dann muß »Wis­sen­schaft ver­ständ­lich machen« hei­ßen, der Öffent­lich­keit zu hel­fen, die­se Bil­der eben­falls fin­den und sich vor­stel­len zu kön­nen. Der Weg dazu liegt nicht im blo­ßen Infor­mie­ren über Wis­sen­schaft, son­dern in der Gestal­tung die­ses Tuns. Wis­sen­schaft muß eine Form bekom­men, die wahr­nehm­bar und damit erleb­bar wird. Damit könn­te ein »public under­stan­ding of sci­ence« gelin­gen, und »Wis­sen­schafts­ge­stal­tung« ist viel­leicht die geeig­ne­te Über­tra­gung der eng­li­schen Wor­te in die deut­sche Spra­che. Die Öffent­lich­keit wird Wis­sen­schaft ver­ste­hen, wenn die Ergeb­nis­se und Inhal­te der For­schung so vor­ge­legt wer­den, das sie die wahr­nehm­ba­re Gestal­tung bekommt, die Tho­mas Mann in Chi­ca­go so bewun­dert hat. Dann wären wir alle »uner­mü­det von die­sem Schau­en«, und wir könn­ten der Wis­sen­schaft den Stel­len­wert ein­räu­men, den die Kunst schon hat.

Wie erreicht man die­ses Ziel, das für die Wis­sen­schaft eine Form der Ken­ner­schaft mit sich bringt? Hier wird die Ansicht ver­tre­ten, daß die Ant­wort in der Ver­bin­dung zur Kunst steckt. Mit ihrer Hil­fe kann die Wis­sen­schaft eine Form bekom­men, mit der die Wahr­neh­mung und die Erleb­nis­fä­hig­keit der Men­schen ange­spro­chen wird. Die Wir­kung poe­ti­scher Bil­der zu nut­zen wäre die Auf­ga­be der Men­schen, die sich vor­ge­nom­men haben, für ein »public under­stan­ding of sci­ence« zu arbei­ten. Es reicht doch schon lan­ge nicht mehr, nur die Ergeb­nis­se wis­sen­schaft­li­cher Publi­ka­tio­nen aus Fach­blät­tern abzu­schrei­ben und umzu­for­mu­lie­ren und die­ses Vor­ge­hen als Wis­sen­schafts­ver­mitt­lung zu dekla­rie­ren. Da meint man zum Bei­spiel, die raf­fi­nier­te Qua­li­tät der Pro­te­ine ver­mit­teln zu kön­nen, indem man den nichts­sa­gen­den Aus­druck »Eiweiß« für sie benutzt. Dabei ist es – in ers­ter Nähe­rung – völ­lig neben­säch­lich, wie ein Pro­te­in funk­tio­niert (was man neben­bei noch weni­ger begreift, wenn man von Eiwei­ßen redet). Wor­auf es zunächst ankommt, ist den Men­schen zu zei­gen, wo die Wis­sen­schaft als den­ken­de Macht steht, und zwar in Hin­blick auf jeden ein­zel­nen selbst – also auf mich –, und wel­chen Platz im Welt­bild der Wis­sen­schaft er ein­nimmt. Wis­sen­schafts­ver­mitt­lung – zum Bei­spiel in Form von Wis­sen­schafts­jour­na­lis­mus – muß ver­su­chen, ein Abschrei­ben auf höhe­rer Ebe­ne zu sein,[16] also eine Dar­stel­lung wis­sen­schaft­lich gewon­ne­ner Ein­sich­ten in einer Form, die der Öffent­lich­keit das Erle­ben erlaubt, von dem Alex­an­der von Hum­boldt gespro­chen hat. Wis­sen­schaft­li­che Ergeb­nis­se müs­sen gestal­tet wer­den, um eine wahr­nehm­ba­re Form zu bekom­men, die Men­schen kei­ne Begriffs­akro­ba­tik abver­langt, son­dern sie viel­mehr inner­lich betrifft. Sie müs­sen sich so dem Auge dar­bie­ten, wie es die Natur selbst tut. Nur solch eine Wis­sen­schafts­ge­stal­tung kann den Drei­klang aus Wis­sen­schaft, Kunst und Huma­ni­tät wie­der hör­bar machen, den Alex­an­der von Hum­boldt in sei­ner (roman­tisch gepräg­ten) Zeit ertö­nen las­sen woll­te und von dem er sich bereits im frü­hen 19. Jahr­hun­dert das erhoff­te, was heu­te »public under­stan­ding of sci­ence« heißt.