Wer sich ernst­haft mit dem Begriff des Bil­des beschäf­ti­gen und ihn sogar ver­suchs­wei­se defi­nie­ren möch­te, ist gut bera­ten, mit Gemäl­den zu begin­nen und einen Kunst­his­to­ri­ker zu fra­gen, denn die malen­de Her­vor­brin­gung von Bil­dern gehört zu den frü­hen Kul­tur­leis­tun­gen der Men­schen. Vor eini­gen Jah­ren hat der Kunst­his­to­ri­ker Gott­fried Boehm ein Buch her­aus­ge­ge­ben, in dem die und inter­es­sie­ren­de Fra­ge, »Was ist ein Bild?«, im Titel gestellt wird.[12] Boehm weist dabei in sei­ner Ein­lei­tung dar­auf hin, daß nie­mand erwar­ten darf, auf die­se ein­fach zu stel­len­de Fra­ge eine eben­so ein­fa­che Ant­wort zu fin­den, und er schreibt:
»Wer nach dem Bild fragt, fragt nach Bil­dern, einer unüber­seh­ba­ren Viel­falt, die es fast aus­sichts­los erschei­nen läßt, der wis­sen­schaft­li­chen Neu­gier einen gang­ba­ren Weg zu wei­sen. Wel­che Bil­der sind gemeint: gemal­te, gedach­te, geträum­te? Gemäl­de, Meta­phern, Ges­ten? Spie­gel, Echo, Mimi­kry? Was haben sie gemein­sam, das sich allen­falls ver­all­ge­mei­nern lie­ße? Wel­che wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­pli­nen gren­zen an das Phä­no­men Bild? Gibt es Dis­zi­pli­nen, die nicht dar­an grenzen?«

In der ers­ten Fra­ge des Kunst­his­to­ri­kers tau­chen Bil­der auf, die wir in der hier ver­wen­de­ten Spra­che am leich­tes­ten als äuße­re und inne­re Bil­der iden­ti­fi­zie­ren kön­nen, und die­se Unter­schei­dung soll in die­sem Auf­satz eine beson­de­re Beto­nung erfah­ren, und zwar des­halb, weil sie uns hilft, die Fähr­te des wis­sen­schaft­li­chen Erken­nens mit Bil­dern aus­führ­lich zu verfolgen.

Um die­sen Weg auf kei­nen Fall zu ver­pas­sen, muß der ange­spro­che­ne Unter­schied zwi­schen Innen und Außen so geklärt wer­den, daß ein viel­fach began­ge­ner Irr­tum nicht erneut vor­kommt. Um es ganz deut­lich zu sagen: Alle Bil­der, die wir in die­sem Buch sehen, sind äuße­re Bil­der, selbst wenn sie Struk­tu­ren zei­gen, die inner­halb von Kör­pern, Gewe­ben oder Zel­len zu fin­den sind. Mit »Innen« kann nur ein geis­ti­ges Innen gemeint sein, also ein Bereich, von dem es kei­ne mate­ri­el­len Pho­to­gra­phien geben kann. Alles ande­re ist Außen, weil man die Kör­per öff­nen und ihr Inne­res nach außen wen­den kann. Selbst das, was sich etwa im Inne­ren der Son­ne abspielt oder im Inne­ren einer Zel­le befin­det, kommt nach außen, wenn man mit einer Son­de oder einer Elek­tro­de ein­dringt, um zu mes­sen, zu schau­en, zu foto­gra­fie­ren und zuletzt die Ergeb­nis­se in Form eines Bil­des vor sei­nen Augen zu haben. So gut die Licht- und Elek­tro­nen-Mikro­sko­pe und ande­re bild­ge­ben­de Ver­fah­ren mit ver­grö­ßern­den Wir­kun­gen auch sind, und so tief sie auch in das Inne­re der mate­ri­el­len Welt ein­drin­gen, sie zei­gen immer nur das, was durch den Ein­griff ver­äu­ßer­licht wor­den ist. Sie zei­gen äuße­re Bil­der des Inne­ren. Inne­re Bil­der sehen wir auf die­se Wei­se nicht. Sie müs­sen geträumt oder gedacht wer­den, wie Gott­fried Boehm es oben aus­drückt, wobei sei­ne Auf­zäh­lung natür­lich nicht ganz voll­stän­dig ist. Tat­säch­lich läßt der Kunst­his­to­ri­ker in sei­ner Ein­schät­zung meh­re­re Bil­der aus, und zwar sowohl die vie­len Pho­to­gra­phien als auch die noch zahl­rei­che­ren Fern­seh­bil­der, die in einer Gesell­schaft, die sich auf dem neu­es­ten tech­ni­schen Stand bewe­gen will und nach Infor­ma­tio­nen lechzt, weit ver­brei­tet sind. Trotz­dem gibt er schon eini­ge der Aspek­te vor, die eine Rol­le spie­len, wenn von den Erkennt­nis­sen die Rede ist, die mit Bil­dern gelin­gen oder zumin­dest zusam­men­hän­gen. Das Malen von Bil­dern wird von vie­len Künst­lern tat­säch­lich als Quel­le ihrer Erkennt­nis ver­stan­den und von der Kunst­wis­sen­schaft in die­sem Sin­ne auch akzep­tiert, wor­auf wei­ter unten ein­ge­gan­gen wird.

Mög­li­cher­wei­se läßt sich die Unter­schei­dung zwi­schen den inne­ren und äuße­ren Bil­dern durch die bei­den Begrif­fe ver­deut­li­chen, die der eng­li­schen Spra­che für das eine deut­sche Wort »Bild« zur Ver­fü­gung ste­hen, näm­lich »pic­tu­re« und »image«. Mit Hil­fe die­ser bei­den eng­li­schen Begrif­fen läßt sich näm­lich ein Unter­schied fest­ma­chen, den es zu beach­ten gilt, wenn die Fra­ge nach der Rol­le der Bil­der in der For­schung mehr meint als die Funk­ti­on von schmü­cken­den Bei­ga­ben, die man als »mit foto­gra­fi­schen Mit­teln erzeug­te Abbil­dun­gen« defi­nie­ren könnte:

Wer sich mög­lichst ein­fach aus­drü­cken will, könn­te sagen, »pic­tures« sind Bil­der, die man macht – etwa mit einer Kame­ra –, und »images« sind Bil­der, die man sich macht – etwa mit sei­ner Ein­bil­dungs­kraft. (Wer die knap­pe Aus­drucks­fä­hig­keit der eng­li­schen Spra­che schätzt, kann ver­kürzt sagen, »pic­tures are taken«, und »images are made«). »Images« sind dem­nach inne­re Bil­der, die men­tal erzeugt oder auf ande­re imma­te­ri­el­le Wei­se kre­iert wer­den, und »pic­tures« sind äuße­re Bil­der, die foto­me­cha­nisch oder auf ande­re tech­ni­sche Wei­se gelie­fert wer­den und in allen mög­li­chen For­men von Kopien und Repro­duk­tio­nen ver­füg­bar sind.

Die hier anvi­sier­te Unter­schei­dung könn­te man auf der Ebe­ne des Kunst­schaf­fens auch auf die alte Dis­kus­si­on anwen­den, die wis­sen will, wann einer Pho­to­gra­phie der Sta­tus einer Kunst­werks zuer­kannt wer­den kann und man dem dabei ent­stan­de­nen Bild den Rang zuspricht, der gewöhn­lich Gemäl­den vor­be­hal­ten ist. Foto­gra­fi­sche Auf­nah­men kön­nen dann Kunst­wer­ke wer­den, wenn man sie erst macht, nach­dem man sie sich gemacht hat. »Pic­tures« kön­nen Kunst wer­den, wenn sie vor­her »images« waren. Der ame­ri­ka­ni­sche Land­schafts­fo­to­graf Ansel Adams hat dies gemeint, als er ein­mal die Bemer­kung mach­te, das Schlimms­te für ihn sei­en (tech­nisch) gute Bil­der von schlech­ten Konzepten.

Natür­lich wird ein Foto nie­mals völ­lig den Cha­rak­ter eines gemal­ten Bil­der bekom­men, und der Grund dafür liegt in sei­ner Her­stel­lung, deren Beschrei­bung sich zunächst banal anhört, im fol­gen­den Kapi­tel aber ihre Bedeu­tung bekommt. Wenn ein Bild gemalt wird, ver­langt jede Ein­zel­heit sei­ner Erschei­nung – jeder Strich, jede Farb­nu­an­ce, jeder Tup­fer, jede Klei­nig­keit – den kon­struk­ti­ven Akt eines Künst­lers. Das Gemäl­de, das wir als ein Gan­zes erbli­cken, wird aus­schließ­lich aus klei­nen Details geschaf­fen, wobei der Maler natür­lich die gro­ße Kom­po­si­ti­on (als »image«) vor Augen haben muß. Jede Linie muß ihren Ort in dem Bild haben, das zuletzt vor dem Betrach­ter erschei­nen soll. Die­ser Zusam­men­hang wird wich­tig, wenn die inne­ren Bil­der – die »images« – betrach­tet wer­den, die das mensch­li­che Gehirn zustan­de bringt.


Ausgabe Nr. 22, Frühjahr 2023

Datenschutz-Übersicht
Sprache für die Form * Forum für Design und Rhetorik

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.

Unbedingt notwendige Cookies

Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.